Unguad
Gesprächs einigermaßen verdauen. Dann rief sie
Schwester Sieglinde zu sich. Zwar musste sie noch einiges für die morgige
Vernissage organisieren, wie zum Beispiel dem Cateringservice – das hieß der
ortsansässigen Gastwirtschaft, die belegte Brötchen liefern würde – nochmals
Beine machen, es drängte sie jedoch, ihre regulären Pflichten als Heimleiterin
wieder aufzunehmen.
Es klopfte.
»Herein!«
Schwester Sieglinde betrat den Raum, bekam einen Gruß, aber keinen
Stuhl angeboten. Frau Imhoff hatte von Anfang an klare Grenzen zwischen sich
und ihren Untergebenen gezogen. Daran hielt sie sich. Auch wenn sie für
Schwester Sieglinde eine gewisse Sympathie empfand.
»Wie steht’s auf der Station? Ist Ruhe eingekehrt?« Die Heimleiterin
raschelte wichtigtuerisch mit den Papieren vor sich auf dem Schreibtisch.
»Ja, es geht wieder. Die Alten vergessen ja bekanntlich schnell.«
»Unser Glück, nicht wahr?« Die beiden lächelten sich an. Sie
arbeiteten bereits jahrelang erfolgreich zusammen. »Nun: Wen könnten wir
höherstufen?«
»Lassen Sie mich überlegen. Da wäre die Frau von Markovics. Bis
jetzt keine Pflegestufe, aber die hat immer weniger den Überblick. Da müsste
was gehen wegen Demenz.«
»Okay, ich regle das.« Die Imhoff machte sich eine Notiz. »Das muss
jedoch bald geschehen. Der medizinische Dienst der Krankenkassen kommt nämlich
schon nächsten Monat. Wen noch?«
Die beiden besprachen bei verschiedenen Heimbewohnern die
Möglichkeiten. Seitdem der Träger des Heimes gewechselt hatte, wehte hier ein
anderer Wind. Früher gehörte das Haus einer kirchlichen Einrichtung. In erster
Linie wurde auf das Wohl der Bewohner geachtet, zahlreiche
Beschäftigungsmöglichkeiten wurden angeboten, es gab viel mehr Schwestern und
Pfleger als heutzutage, und der Geist christlicher Nächstenliebe durchdrang
alles.
Dann bekam der kirchliche Träger jedoch finanzielle Probleme und
musste das Heim verkaufen. Seit drei Jahren besaß eine auf wirtschaftlichen
Profit ausgerichtete GmbH das Altenheim. Der frühere, allseits beliebte
Heimleiter wurde gegen Frau Imhoff ausgetauscht und der Rotstift angesetzt. Als
Erstes wurden die Kurse und Beschäftigungsangebote gestrichen, einzig der
Computerkurs überlebte. Wie konnte es auch anders sein. Dann kündigten sie
vielen Angestellten oder drängten ihnen Auflösungsverträge auf. Es sollte
gerade noch ein reibungsloser Ablauf der Pflege gewährleistet sein. Die
verbliebenen Pflegekräfte mussten eine Verzichtserklärung unterschreiben: kein
Urlaubs- und kein Weihnachtsgeld. Und sie hatten nun keine Zeit mehr für so
unnütze Dinge wie Zuhören, Ratschen oder Spielen. Ihr Zeitplan war straff, nur
die mit der Kranken- oder Pflegekasse abrechenbaren Arbeiten wurden noch
ausgeführt. Es machte keinen Spaß mehr. Ab und zu kam der Geschäftsführer der
GmbH mit seinem 7er BMW angefahren und kontrollierte die Bücher. An den Angestellten oder Bewohnern war
er nicht interessiert. Sie waren lediglich Posten in der Gewinn- und
Verlustrechnung. Einzig die Imhoff blühte auf. Sie setzte all ihren Ehrgeiz
daran, immer neue Einsparmaßnahmen aufzutun. Und sie war erfinderisch. Wenden
wir uns nun mit Grauen ab.
Vierzehn Uhr fünfzig
Die Praktikantin Anna konnte in zehn Minuten heimgehen. Da sie
erst fünfzehn Jahre alt war, durfte sie nicht so lange arbeiten. Nach dem
Gespräch mit dem netten Herrn von Markovics oben auf der Dachterrasse hatte sie
den anderen aufs Neue gegenübertreten und ihre Arbeit verrichten können. Zwar
schauten ihre Augen immer noch ein bisschen verquollen aus, aber es ging
wieder.
Gerade verteilte sie die Speisepläne für die nächste Woche an die
Bewohner. Jeder hatte angekreuzt, was er denn essen wollte, und bekam den Plan
nun nach der Registrierung durch die Küche zurück, damit er sich auch später
noch daran orientieren konnte. Eigentlich eine gute Einrichtung, dachte sie
sich. Überhaupt gefiel es ihr hier so richtig gut. Sie mochte alte Leute. Das
fanden viele aus ihrer Klasse voll abartig, aber sie musste immer an ihre
Großeltern denken. Die hatten früher bei ihnen im Austragshäusl gewohnt. Dort
hatten sie in der Landwirtschaft der Eltern mitgeholfen, so gut sie noch gekonnt
hatten. Hühner füttern, Reisig sammeln, mal etwas reparieren. Die Oma hatte
auch noch lange gekocht für alle. Anna konnte sich gut an die Mehlspeisen
erinnern, die waren ihr immer am liebsten.
Die Schwestern und Pflegerinnen waren echt nett zu ihr. Vor
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