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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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würde. Sie starrte Eichholz nur an, und selbst
dafür reichte ihre Kraft in diesem Moment kaum.
    Â»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, antwortete sie schließlich.
Sie hatte fest und herausfordernd klingen wollen, aber es hörte sich einfach
nur schwächlich an.
    Â»Und auch das hätten Sie jetzt besser nicht gesagt«, seufzte
Eichholz. »Aber wie Sie wollen. Ich würde es begrüßen, wenn Sie heute
Nachmittag ins Präsidium kommen könnten. Sagen wir, um fünf?«
    Â»Begrüßen?«, wiederholte sie. »Was genau heißt das im Klartext? Ist
das eine Vorladung oder bin ich schon verhaftet?«
    Â»Nein«, antwortete Eichholz kühl. Irgendwie klang es wie: Noch nicht.

Kapitel 10
    Als hätte
die Natur eingesehen, dass sie etwas gutzumachen hatte, herrschte nach der
unzeitgemäßen Kälte der vergangenen Nacht nun eine geradezu hochsommerliche
Hitze. Sie war mit dem Taxi zu Sylvia gefahren, aber schon zwei Straßen vorher
ausgestiegen, um das restliche Stück zu Fuß zu gehen – nach der hässlichen
kleinen Episode vom Morgen war ein kleiner Spaziergang genau das Richtige, um
wieder einen klaren Kopf zu bekommen, und darüber hinaus wollte sie Sylvias
Adresse nicht preisgeben; nicht einmal einem Taxifahrer. Nach allem, was
passiert war, wollte sie ganz bestimmt nicht auch noch sie mit hineinziehen –
doch schon nach den ersten paar Dutzend Schritten kamen ihr Zweifel, ob das
wirklich eine so gute Idee gewesen war.
    Die Luft stand zwischen den Häusern, und ihr war noch nie so
deutlich aufgefallen, wie übel die Stadt roch. Nicht nur nach Benzin und
Abgasen, sondern nach tausend anderen Dingen, die sie einzeln nicht
identifizieren konnte, in ihrer Gesamtheit jedoch äußerst unangenehm waren:
Schweiß und schlecht gewordene Lebensmittel, heißen Stein und alte Farbe,
Hundedreck und Menschen. Ihr Geruchssinn schien plötzlich mit mindestens
doppelter Schärfe zu funktionieren, und auch ihr Gehör malträtierte sie mit
einer Vielzahl von Geräuschen, die sie allesamt schon immer gekannt, aber noch
niemals als so intensiv und aufdringlich empfunden hatte.
    Â Vielleicht lag es daran, dass
sie seit einer Weile nicht mehr rauchte … schließlich behaupteten ja viele
ehemalige Raucher, dass ihr Geschmacks- und Geruchssinn deutlich schärfer
geworden wäre, nachdem sie ihr Laster aufgegeben hatten.
    Â Aber ihr Gehör?
    Â Außerdem war es zu hell. Die
Sonnenbrille, die sie eigentlich nur zur Tarnung aufgesetzt hatte, erwies sich
schon bald als ihr wichtigstes Utensil. Selbst durch die dunkel getönten Gläser
hindurch stach die Sonne wie mit dünnen, glühenden Nadeln in ihre Augen. Alles
war gleißend hell, und die Trennlinien zwischen Licht und Schatten erschienen
ihr unnatürlich hart; wie mit präzisen Tuschestrichen gezogen.
    Â Sie atmete tief aus und
beschleunigte ihre Schritte. Als sie in die Straße einbog, in der Sylvia
wohnte, hatte sie plötzlich das fast körperliche Gefühl, beobachtet zu werden.
Sie blieb abrupt stehen und drehte sich so schnell auf dem Absatz herum, dass
kein noch so professioneller Verfolger eine Chance gehabt hätte, sich noch
rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
    Â Aber da war niemand. Die
Straße hinter ihr war leer.
    Sie ging weiter und sah sich auf dem letzten Stück noch zwei- oder
dreimal (unauffälliger) um, und obwohl sie auch jetzt absolut nichts
Außergewöhnliches bemerkte, wurde das Gefühl, aus unsichtbaren Augen angestarrt
und belauert zu werden, eher noch stärker. Wahrscheinlich lag es an ihr. Wenn
diese Geschichte hier vorbei war, brauchte sie einen langen, langweiligen
Urlaub.
    Wenn es dann noch etwas gab, wovon sie Urlaub machen konnte.
    Sylvia lebte in einer kleinen, aber urgemütlich eingerichteten
Maisonette-Wohnung in einem Haus aus dem vorletzten Jahrhundert, das fünf
Stockwerke hatte. Esverfügte über einen Aufzug,
einen altmodischen Gitterkäfig mit kunstvoll geschmiedeten Türen und
intarsienverzierter Holzvertäfelung, ein wahres Prachtstück, das nur den
kleinen Schönheitsfehler hatte, seit ungefähr fünfzig Jahren nicht mehr zu
funktionieren. Einer der Gründe, aus denen sie sie vielleicht nicht ganz so oft
besucht hatte, wie es vielleicht richtig gewesen wäre. Normalerweise war sie
vollkommen außer Atem, wenn sie oben angekommen war (was allerdings auch zu
einem

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