Unheil
mehrmals, und wenn ja, was
sie geantwortet hatte. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, ob sie sich heute
überhaupt schon einmal gesehen hatten. Ihre Gedanken schienen sich immer
langsamer zu bewegen.
»Sie sind einem anonymen Hinweis nachgegangen«, erinnerte sie
Eichholz, ohne an ihrer aufsässigen Antwort Anstoà zu nehmen. »Dieser ominösen E -Mail, von der Trausch mir berichtet hat, nehme ich an?«
Sie nickte. Das war immer noch keine Antwort auf die Frage, ob sie
sich seit ihrer Rückkehr schon gesehen hatten, aber sie konnte sich anstrengen,
sosehr sie wollte, sie konnte sich einfach nicht erinnern. Anscheinend war der
Muskelprotz aus dem Trash nicht der Einzige, der
einen Schock erlitten hatte. Seltsam, wie ⦠fremd sich
so etwas anfühlte, wenn es einem selbst passierte, und nicht immer nur den
anderen.
»Das ist keine Antwort auf die Frage, was Sie dort zu suchen hatten,
Frau Feisst«, sagte er, immer noch mit unbewegtem Gesicht und auf eine ruhige
Art, die sie allmählich wirklich nervös zu machen begann. Er zitierte aus dem
Gedächtnis. »Kommen Sie am Samstag ins Trash , wenn
sie den Vampir sehen wollen. Allein. Keine Unterschrift, kein E -Mail-Absender.«
»Es war ein Hinweis«, antwortete Conny. »Gut, er war anonym. Eine
anonyme E -Mail, deren Absender nicht einmal unsere
Spezialisten herausfinden können, ist allerdings schon etwas Besonderes, finde
ich. Und schlieÃlich gehen wir auch anonymen Hinweisen nach.«
Sie hatte gewusst, dass dieses Gespräch kommen würde. Vielleicht
hatte ein Teil von ihr gehofft, dass es nicht heute kommen würde, nicht gleich zu Beginn, doch dass es
kommen würde, war so sicher gewesen wie das Amen in der Kirche. Sie hatte
geglaubt, sich halbwegs darauf vorbereitet zu haben, aber jetzt hörte sie sogar
selbst, wie schwächlich ihre Verteidigung klang. Eichholz schüttelte auch nur
beinahe mitleidig den Kopf.
»Das ist richtig«, gab er zu. »Nur, dass es sich dabei normalerweise
nicht um einen Hinweis auf das Jahrestreffen der halben deutschen Gothic-Szene
handelt, bei dem ungefähr die Hälfte der Anwesenden als Vampire verkleidet
herumläuft.«
»Er war da, oder?«
»Das bestreitet niemand«, räumte Eichholz gelassen ein. »Aber Sie haben
meine Frage nicht beantwortet. Was hatten Sie dort
verloren, noch dazu ohne mein Einverständnis?«
»Weibliche Intuition?«, schlug Conny vor. Da war plötzlich wieder
jene leise, hysterische Stimme in ihrem Kopf, die sie diesmal mit Nachdruck
fragte, ob sie eigentlich den Verstand verloren hatte. Eichholz war innerlich
nicht annähernd so ruhig, wie er sich gab. Er war niemals so ruhig. Connys einzige Hoffnung, die Dienstzeit bis zu ihrer Pension
durchzustehen, bestand in ihrer durchaus realistischen Einschätzung, dass er in
spätestens zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden würde;
nicht, weil sie es ihm gönnte (das auch), sondern weil sein Blutdruck
vermutlich niemals unter zweihundert sank. Die Ruhe, die er ihr vorspielte,
hatte etwas von einer als Samtkissen getarnten Bombe, die er ihr
unterzuschieben versuchte. Und sie gab sich auch noch alle Mühe, die Zündschnur
in Brand zu setzen!
»Ich halte eine Menge von Intuition, Frau Feisst«, antwortete er
ernst. »Tatsächlich besteht einer der Grundpfeiler unserer Arbeit aus
Intuition. Der andere ist Teamarbeit, und Disziplin: Kommissar Trausch hat mir
von Ihrem Verdacht erzählt, Frau Feisst, und auch, dass er Ihnen untersagt hat,
dorthin zu gehen.«
»Untersagt ist vielleicht nicht das richtige Wort«, mischte sich
Trausch ein. »Ich habe lediglich gesagt, dass ich diesen Hinweis nicht für
ernst genug halte, um ihm nachzugehen.«
Conny konnte einen leicht überraschten Blick in seine Richtung nicht
unterdrücken. Trausch war von Anfang an der Einzige in der SOKO gewesen, der sich nicht mehr oder weniger offen auf
Eichholzâ Seite gestellt hatte, der sie nicht spüren lieÃ, dass sie eigentlich
nur dabei war, um Kaffee zu kochen und an einem guten Tag vielleicht das Papier
in der Faxmaschine auszutauschen, aber sie hatte trotzdem nicht erwartet, dass
er sie so offen verteidigen würde.
Nicht, dass sich Eichholz davon irgendwie beeindruckt gezeigt hätte.
»Ich habe keine Lust, mich mit Haarspaltereien aufzuhalten«, sagte er nur.
»Tatsache ist, dass Sie dort nichts zu suchen hatten.
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