Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
wieder, ob sie eigentlich den Verstand verloren hatte,
überhaupt mit ihm zu sprechen – ganz egal, welche der beiden möglichen
Erklärungen für sein Hiersein nun die richtige war. Aber dieser Gedanke war
seltsam akademisch: Sie dachte ihn durchaus ernsthaft, und sie war sich auch
all seiner möglichen unangenehmen Implikationen bewusst, war zugleich jedoch
auch unfähig, darauf zu reagieren; außer vielleicht mit einem noch stärkeren
und schon beinahe körperlichen Gefühl von Beunruhigung.
    Vlad maß sie mit einem Blick, den sie weder deuten konnte noch
wollte. »Zumindest sind wir Partner, oder?« Er klang ein wenig enttäuscht, aber
nicht resigniert.
    Â»Partner?«
    Â»Ich dachte, wir hätten eine Vereinbarung.« Er wartete zwei oder
drei Atemzüge lang vergebens darauf, dass sie antwortete oder sonst wie
reagierte, deutete schließlich ein Schulterzucken an und stützte sich schwer
mit beiden Händen auf den silbernen Knauf seines Spazierstocks, wozu er sich
sichtbar nach vorne beugen musste. Der Anblick hatte etwas Unheimliches, das
sie nicht wirklich in Worte fassen konnte, ohne dass es dadurch etwas von
seiner bedrohlichen Wirkung verlor. Ihr war nie aufgefallen, wie groß er war;
trotz seiner weit vorgebeugten Haltung und der hängenden Schultern, zu der sie
ihn zwang, überragte er sie immer noch um einen guten Kopf, aber das war noch
nicht einmal das Unheimlichste an ihm. Plötzlich kam er ihr tatsächlich vor wie
ein bloßer Schatten, eine Illusion, die – fast – perfekt versuchte, sich als
Mensch auszugeben. Der Gedanke kam ihr beinahe selbst absurd vor, aber er hatte
zugleich auch etwas zutiefst Erschreckendes.
    Conny verscheuchte den Gedanken trotzig. Sie tat sich nicht wirklich
einen Gefallen damit, wenn sie ihren Gedanken gestattete, sich auf solchen
Pfaden zu bewegen. Und seit wann … dachte sie überhaupt
so? Selbst die Worte , die sie in Gedanken benutzte,
schienen nicht mehr ihrem gewohnten Wortschatz zu entsprechen. War das jetzt
vielleicht der richtige Moment, um Angst zu bekommen?
    Plötzlich musste sie lachen.
    Â»Was ist so komisch, wenn ich fragen darf?«, wollte Vlad wissen.
    Â»Nichts«, erwiderte sie kopfschüttelnd, wenn auch immer noch mit
einem amüsierten Lächeln auf den Lippen. »Mir ist nur gerade klar geworden,
dass meine Phantasie sich jetzt selbst ein Bein gestellt hat.« Vlads Blick
wurde noch fragender. »Ich denke schon nicht mehr so wie ich selbst. Sie sind ein Gespenst, habe ich recht?«
    Â»Und was sollte ich deiner Meinung nach antworten, wenn ich wirklich
das wäre, wofür du mich hältst?«, erwiderte Vlad.
    Conny zerbrach sich einen Herzschlag lang vergebens den Kopf über
eine möglichst geistreiche Antwort, beließ es dann bei einem Schulterzucken und
schälte sich aus der Jacke, um sie achtlos auf die Couch zu werfen. Das
Kleidungsstück verfehlte sein Ziel und fiel daneben. Vlad runzelte die Stirn,
sah sie einen halben Atemzug lang beinahe vorwurfsvoll an und hob die Jacke
dann auf, um sie zur Garderobe zu tragen, wo er sie ordentlich an den Haken
hängte.
    Â»Noch dazu ein ordentliches Gespenst«, sagte sie. »Wer kann das
schon von sich behaupten? Anscheinend habe ich Glück gehabt. Ich meine: Genauso
gut hätte ich mir auch einen Poltergeist einfangen können, der alles
durcheinanderwirft, nicht wahr?«
    Ihr unheimlicher Gast schüttelte nur stumm den Kopf und ging nicht
nur zu demselben Stuhl, auf dem er vorgestern gesessen hatte, sondern nahm auch
in vollkommen gleicher Haltung darauf Platz; die Hände auf seinen Spazierstock
gestützt und mit gestrafften Schultern und so aufrecht, als hätte er den sprichwörtlichen
Besenstiel verschluckt. Conny wartete einen Moment lang vergebens darauf, dass
er das Gespräch von sich aus wieder aufnahm, dann drehte sie sich um und ging
zum Fenster, um die Vorhänge aufzuziehen und das Sonnenlicht einzulassen;
vielleicht vertrieb es ja die sonderbare Stimmung, die immer noch wie ein übler
Geruch in der Luft hing und ihr das Gefühl gab, nicht willkommen zu sein. Oder
zumindest nicht zu Hause.
    Â»Würdest du mir einen Gefallen tun und sie geschlossen lassen?«
    Tatsächlich führte Conny die begonnene Bewegung nicht zu Ende,
sondern ließ den Arm wieder sinken und drehte sich überrascht um. »Warum?«
Bevor er antworten konnte, tat sie es selbst, und

Weitere Kostenlose Bücher