Unheil ueber Oxford
I
S
ie sehen heute irgendwie anders aus .«
» Das hast du bemerkt? « Zophiel klingt angenehm berührt .
» Es sind Ihre Schwingen «, sagt Christopher . » Sie sind blau mit goldenen Tupfen . Fast wie ein Pfauenschwanz . Sehr hübsch .«
» Uns stehen drei Flügelpaare zur Verfügung . Dieses hier mag ich am liebsten .« Er wendet sich von rechts nach links und vollführt mit den schillernden Federn leichte Bewegungen .
An diesem Tag sieht Zophiel zweifellos hübscher aus . Irgendwie weicher und runder . Christopher ist irritiert , denn er glaubt , Zophiel inzwischen zu kennen . Mit neuen , überraschenden Facetten seines Charakters hatte er nicht mehr gerechnet . Der Cherub ist ihm ein angenehmer Gefährte geworden , ein männlicher Freund . Doch an diesem Tag erinnert Zophiel ihn eher an Dianne , Viola , Honor und Briony .
» Wenn es dir recht ist , möchte ich heute den Rest der Geschichte über deinen Vater hören .«
» Aber nur , wenn Sie aufhören , wie Dianne zu klingen . Wo waren wir stehen geblieben? «
» An dem Zeitpunkt , als sie in dein Leben trat und entschlossen war , es radikal und für immer zu verändern .«
Ach ja, Dianne.
Rundlich, drall und munter. Irgendwie mütterlich.
Sie war ebenfalls Sozialarbeiterin, allerdings noch nicht so lang wie mein Vater. Ich glaube, ihr Idealismus war ihr noch nicht vollständig abhanden gekommen. Sie hatte noch nicht lange genug in dem Beruf gearbeitet, um den harten Panzer aus Zynismus zu entwickeln, den ihre älteren Kollegen zum Überleben brauchten. Doch sie hatte sich bereits die lästige Angewohnheit angeeignet, die Menschen in Pflegeberufen oft auszeichnet: Sie sah alle anderen als potenzielle Fälle oder mögliche Klienten an. Vor allem ich stellte einen ausgezeichneten Kandidaten für ihr berufliches Fachwissen dar: mutterlos, ohne Freunde unter Gleichaltrigen und an Dingen interessiert, die meinem Alter nicht angemessen waren, lebte ich mit einem Vater, der den größten Teil seiner Zeit mit Arbeit verbrachte.
Dabei entging ihr allerdings, dass ich mich rundum glücklich fühlte.
Wäre sie etwas gewitzter gewesen, hätte sie bemerkt, dass auch mein Vater sich glücklich fühlte. Natürlich wollte er eine Frau. Vermutlich sehnte er sich nach weiblicher Gesellschaft, nach Sex und nach jemandem, der für ihn einkaufte und ihm sein Essen kochte. Doch er vermisste weder ein elegantes Haus mit ebensolchem Garten noch schicke Klamotten oder Abende in der Gesellschaft so genannter Freunde. Dianne konnte das nicht verstehen, aber ich kannte ihn erheblich besser als sie.
» Dann hast du dich also Diannes Eindringen widersetzt? «
» Absolut nicht . Ich war ein intelligentes Kind . Dank jahrelanger Menschenbeobachtung verfügte ich über erheblich wirksamere Mittel .«
Ich lächelte sie an. Ich gestattete ihr, mein widerspenstiges Haar mit ihrer weichen, kundigen Hand zu glätten. Beim Schlafengehen ließ ich es zu, dass sie mir meinem Alter und Geschlecht angemessene Geschichten vorlas. Ihr zuliebe aß ich Gemüse und Hackfleischauflauf. Ich trank Kakao. Nach und nach gewann ich allmählich ihr Vertrauen. Ich glaube, sie hatte sogar angefangen, mich lieb zu haben. Allerdings kannte sie mich nicht wirklich. Ohne Wissen um das wahre Gesicht dessen, den man liebt, fällt Liebe sehr viel leichter, finden Sie nicht?
Wenn wir uns gemütlich in mein Schlafzimmer gekuschelt hatten, das inzwischen sauberer und aufgeräumter war als früher (ich nannte es: in der vordiannischen Zeit), vertraute sie mir an, wie sie meinen Vater verändern wollte; sie dachte an ein eleganteres Äußeres, ein hübscheres Haus, einen gepflegteren Garten. Ich machte ihr Mut. Ich schlug ihr sogar kleinere Maßnahmen vor, von denen ich wusste, dass mein Vater sie hassen würde. Unsere Vertraulichkeiten sollten unter uns bleiben, denn Dianne hatte begriffen, dass sie behutsam vorgehen musste, wenn sie ein Mitglied unserer kleinen Familie werden wollte. Eine ihrer Verbesserungsmaßnahmen bezog sich auf das Bad.
Mit unserem Bad war alles in Ordnung. Es gab eine Wanne, ein Waschbecken und eine Toilette, alle in leicht verkalktem Weiß, außerdem fließendes heißes und kaltes Wasser. Der Boden bestand aus grünem Linoleum. An der Wand befand sich ein Schränkchen mit einem fleckigen Spiegel, ein Handtuchhalter fehlte ebenso wenig wie ein Zahnputzbecher. Meistens waren sogar Seife und Zahnpasta vorhanden. Einmal im Monat wanderten unsere Handtücher gemeinsam mit der Bettwäsche
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