Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
Vom Netzwerk:
seine Augen. Sie würde niemals den glasig-stieren Blick in diesen aufgerissenen Augen vergessen. Während sie bei ihm stand, gelang es ihm, den Beißschutz im Mund zu lockern und herauszustoßen, und sofort begann er zu schreien und die unglaublichsten Verwünschungen und Obszönitäten auszustoßen. Es war ihr unerklärlich, daß ein menschliches Wesen solche Gedanken hegen konnte. Obwohl seine Augen sie ansahen, bemerkte er sie nicht. Eine Schwester eilte herbei und steckte ihm den Beißschutz wieder in den Mund, indem sie ihm die Nase zuhielt und geschickt seinen schnappenden Zähnen auswich.
    Casey verließ das Krankenhaus in einem Zustand elender Benommenheit. In ihren Augen standen Tränen. Zuerst war sie nicht einmal sicher gewesen, daß es John war, der sich so verändert hatte, und nun wollte sie sich einreden, daß er es nicht gewesen sei. Aber es war nutzlos, sich etwas vorzumachen. Sie mußte sich den Tatsachen stellen, wenn sie ihm helfen wollte, zu genesen. Und wenn er nicht wieder gesund wurde? Konnte sie den tobsüchtigen Irren lieben, den sie gerade gesehen hatte?
    Ihre Gedanken waren in Aufruhr, ihre Gefühle in Verwirrung. Tief in ihr begann ein Konflikt. Nach Stunden weinen- der Verzweiflung und des Ankämpfens gegen den Ab- scheu, den sie angesichts seines Wahnsinns empfand, drohte sie den Kampf zu verlieren. Sie rief ihren Vater an. Er drängte sie, sofort nach Haus zu kommen, und am liebsten wäre sie sofort aufgebrochen; sie brauchte seinen Schutz, seine Trostworte, und jemand, der ihr die Verantwortung abnehmen würde.
    Aber nein. Sie war es John schuldig, bei ihm zu bleiben, solange eine Aussicht auf Besserung bestand, und sei sie noch so gering. Die Krankheit durfte nicht zerstören, was gewesen war, die innere Nähe, die sie miteinander verbunden hatte. Sie sagte ihrem Vater, sie werde bleiben, bis sie so oder so Gewißheit über John bekommen werde. Sein An- erbieten, nach Salisbury zu kommen, lehnte sie ab und sagte, daß sie erst heimkommen werde, wenn sie sich über- zeugt habe, daß John nicht mehr zu helfen sei.
    Caseys Unglück verstärkte sich am Abend, als sie Holman wieder aufsuchte. Der Arzt meinte, sie solle wissen, daß das Kind, das mit Holman gerettet worden war, am Nachmittag gestorben sei, ohne aus dem ungewöhnlichen Koma zu er- wachen, in dem es seit dem Erdbeben gewesen war. Man sei jetzt zu der Auffassung gelangt, daß das kleine Mädchen von einem durch das Erdbeben freigesetzten Gas vergiftet worden wäre, und es sei möglich, daß auch Holman etwas davon abbekommen habe, so daß man unter Umständen dieses Gas als die Ursache seiner Geistesverwirrung ansehen könne. Die nächsten Tage würden erweisen, ob der Hirnschaden irreparabel oder vorübergehend wäre. Oder ob die Auswirkungen auch auf ihn tödlich sein würden.
    In dieser Nacht konnte sie kaum schlafen. Nun, da an Tod gedacht werden mußte, wurden ihre Empfindungen klarer; wenn er überlebte, würde sie ihn niemals verlassen, selbst wenn er geisteskrank bliebe. Freilich könne ihre Liebe in diesem Fall nicht dieselbe wie zuvor bleiben, sondern würde eine andere Art von Liebe sein müssen, geborgen aus seiner Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit von ihr. Sollte er aber sterben — sie zwang sich, die Vorstellung zu akzeptieren —, dann wollte sie die Kreatur vergessen, die sie an diesen zwei letzten Tagen gesehen hatte, und sich nur des Mannes erinnern, der er gewesen war, und was ihre Gemeinsamkeit ausgemacht hatte. In den frühen Morgenstunden sank sie schließlich in einen erschöpften und von Träumen geplagten Schlaf.
    Als sie am Vormittag zum Krankenhaus zurückkehrte, Bangigkeit im Herzen, aber noch immer hoffnungsvoll, war Holman völlig vernünftig. Matt und aschfahl im Gesicht, aber ohne eine Spur geistiger Verwirrung. Und eine Woche später war er bereit, nach Hause zu gehen.
    Casey setzte sich zu ihm auf die Stufen und nahm seine Hand. Holman küßte sie auf die Wange und lächelte ihr zu.
    »Danke.«
    »Wofür?«
    »Daß du hier bist. Daß du nicht fortgelaufen bist.«
    Sie schwieg.
    »Die Ärzte und das Pflegepersonal sagten mir, wie ich mich aufgeführt habe«, sagte er. »Es muß erschreckend für dich gewesen sein.«
    »Das war es. Sehr erschreckend.«
    »Sie bemühen sich noch immer, eine Erklärung dafür zu finden, wie ein vollständig Wahnsinniger so rasch wieder normal werden konnte. Sie sagen, das Gas, was immer es war, müsse verantwortlich gewesen sein. Es habe zeitweilig die

Weitere Kostenlose Bücher