Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
Sicherheit“, fügte er hinzu, als Michael ihm einen empörten Blick entgegenschleuderte. „Wann lernst du endlich, dass nicht alle Vampire nett sind? Die, die unsere Art gefährden, müssen unbedingt zum Schweigen gebracht werden.“
Michael schnaubte und schüttelte den Kopf. Nach wie vor hielt er nichts vom Töten seiner eigenen Sippe, auch wenn es sich um einen womöglich gefährlichen Vampir handeln sollte. Er war mehr ein Mann der Worte, nicht so wie Joe, dem sein hohes Alter bereits sämtliches Mitgefühl entzogen hatte. Er selbst war erst seit fünfzig Jahren untot, ein Wimpernschlag für jene, die schon hunderte von Jahren lebten. Und auch wenn Joe es war, der ihn damals verwandelt hatte, so stimmte er doch in vielen Dingen nicht mit ihm überein.
„Hast du dir das auch gut überlegt?“, fragte er schließlich.
Joe nickte nur.
„Sehr gut sogar.“
„Was ist, wenn du unrecht hast?“, fragte Michael mit deutlich erhobener Stimme. „Was wäre, wenn sie einfach nur ein Vampir ist, der seine neue Macht auskosten will?“
„Dann -“, und Joe betonte jedes einzelne Wort, „- dann wird es der Hohe Rat sein, der sie für diesen Verrat zur Verantwortung zieht. Du kannst es drehen und wenden wie du willst, dieses
Mädchen wird sterben, egal ob dir das gefällt oder nicht.“
Er wurde zusehends zorniger. Michael spürte, dass sich sein Freund mehr von der Sache mitreißen ließ, als er zugeben wollte.
„Die Zeit für große Überlegungen haben wir nicht“, fuhr er mit geballten Fäusten fort. „Diese jungen Vampire werden immer unverfrorener.“
„Was ist mit diesem Marius?“, fragte Michael. „Hast du eine Ahnung, wer das sein könnte?“
„Nein“, antwortete Joe knapp. Er ging zu der verglasten Frontscheibe des Balkons und sah hinunter auf die vielen bunten Lichter, welche die Straßen der Stadt erhellten. „Ich habe die Datei mehrfach durchgesehen, er ist definitiv nicht registriert. Vielleicht hält er sich woanders auf, aber um an die Hauptdatei zu gelangen, bräuchte ich die Erlaubnis des Rates und die werden sie mir bestimmt nicht so ohne weiteres erteilen.“ Er grinste. „Ich bin nicht besonders beliebt bei den Vorsitzenden.“
„Du wärst es vielleicht, wenn du nicht alle paar Wochen den Auftrag geben würdest, einen Vampir abzumurksen, der dich nur falsch angesehen hat“, argumentierte Michael schlagfertig. „Ich wäre davon auch nicht besonders angetan.“
„Du weißt, dass die Sache nicht ganz so einfach ist. Es gibt Vampire, deren Existenz nicht nur die Menschen gefährdet, sondern auch uns. Und die sollte man aus dem Weg räumen.“
Joe goss sich aus einer Kristallkaraffe Blut in ein Weinglas und schnupperte verzückt daran.
„Schade um die Kleine“, sagte er, während seine Augen weiß wurden und die spitzen Fangzähne zum Vorschein kamen. „Irgendwie hatte sie was.“
An diesem Abend war alles anders als sonst. Kyra spürte, dass Ärger in der Luft lag. Sie war nervös und konnte sich kaum konzentrieren. Frustriert stand sie vor der Schaufensterscheibe eines Musikladens und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie hatte einen Finger im Mund und zog ihren rechten Mundwinkel zur Seite, um ihre Zähne besser betrachten zu können. Spitz und blendend weiß reflektierten sie das Licht der Straßenlampe neben ihr. Mit den Knöcheln ihrer linken Faust schlug sie vorsichtig dagegen. Es tat sich nichts. Sie versuchte es noch einmal mit etwas mehr Kraft, was nur zur Folge hatte, dass sie sich das Fleisch an ihrer Hand aufriss und Blut hervorfloss.
„Autsch“, murmelte sie und leckte das Blut vorsichtig ab.
Ihr fiel auf, dass sie von einer Gruppe Teenager beobachtet wurde, die ob diesem merkwürdigen Schauspiel stehen geblieben waren und sie argwöhnisch anstarrten.
„Was glotzt ihr denn so?“, fauchte Kyra und lief davon.
Das nächtliche Treiben der Menschen verstörte sie, machte ihr sogar etwas Angst. Sie fürchtete sich vor dem Kommenden. Dinge waren nun ins Rollen geraten, die sich nicht mehr aufhalten ließen und der Verlust ihrer Kontrolle machte ihr schwer zu schaffen. Joes Worte geisterten noch immer in einem verstaubten Winkel ihres Kopfes herum und pochten penetrant gegen ihre Schläfe. Er hatte sie mit nichts als offenen Fragen und wahnwitzigen Bedrohungen
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