Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
aus.
„Es muss schon eine Weile her sein, nicht wahr?“, fuhr er fort und konnte sich ein „Schließlich waren seit Tagen keine Leichen mehr in der Zeitung“ nicht verkneifen.
„Wenn das deine Art ist, jemandem zu helfen, dann geht das aber gründlich nach hinten los“, meinte Kyra.
Michael setzte sich neben sie auf die Bank und faltete die Hände in seinem Schoß. Vielleicht war er die ganze Sache zu aggressiv angegangen. Wenn er sie jetzt so sah, konnte er sich unmöglich vorstellen, dass sie eine dieser gefährlichen, mordlüsternen Vampire sein sollte, die Joe lieber tot sehen wollte. Sie schien zwar stur zu sein, doch im Grunde brauchte sie nur eine geeignete Führungsperson. Michael versuchte sich zu beruhigen und wandte den Blick von ihr ab.
„Vielen jungen Vampiren geht es ähnlich wie dir“, sagte er. „Nicht alle haben das Glück, von dem Vampir, der sie verwandelt hat, zu lernen. Manche werden zurückgelassen und sind dann völlig orientierungslos. Joe ist in dieser Stadt einer der mächtigsten Vampire und er hat schon vielen den rechten Weg gewiesen. Er will dir bestimmt nichts Böses.“
Das war glatt gelogen. Kyra merkte, dass diese Geschichte bis zum Himmel stank. Joe selbst hatte ihr zwar Hilfe angeboten, trotzdem war er ihr nicht geheuer gewesen und sie hatte kein einziges Wort von dem geglaubt, was er ihr erzählt hatte. Dass Michael eine überspannte Körperhaltung annahm, machte ihn nur noch verdächtiger. Sie verengte die Augen und kräuselte die Lippen. Er war ein schlechter Schauspieler.
„Komm mit mir mit“, sagte er freundlich. „Wir finden schon eine Lösung.“
Sie dachte kurz nach. Wenn sie sich weigern würde, hätte sie wahrscheinlich bald ernste Probleme am Hals. Wenn sie Michael folgte, hatte sie möglicherweise eine Chance, dass alles gut ging.
„Na gut“, lenkte sie ein und stand auf. „Aber ich werde nicht anfangen, das Blut von Tieren zu trinken, ist das klar? Ich habe es mit einem Chipmunk versucht und musste fast kotzen.“ Können Vampire überhaupt kotzen?
Michael grinste. „Das musst du auch nicht. Wir haben andere Möglichkeiten.“
An einem ganz anderen Ort, weit entfernt von der zivilisierten Welt, trafen sich die Schatten der Nacht zu einer Versammlung, wie sie gewöhnlich nur alle hundert Jahre stattfand. Ihre glühenden Augen reflektierten das fahle Licht des Halbmondes, der versteckt hinter den Mauern der einst stolzen Villa am sternenbedeckten Firmament emporstieg. Wilder Wein rankte sich an den brüchigen Marmorsäulen seinen Weg nach oben, die das riesige Tor flankierten. Die Allee, welche zu dem verfallenen Anwesen führte, war gesäumt von den steinernen Statuen traurig in die Ferne blickender Engel, als hätte man ihnen sämtliches Leben entzogen. Ein Hauch Melancholie lag in ihren blinden, von Efeu überwucherten Augen. Eine Rabenkrähe landete auf einem von ihnen und krächzte einsam in die Stille hinein. Dieser Ort war verflucht. Seit Jahrhunderten wagte sich kein menschliches Wesen in diese Gegend, sogar Tiere mieden das weitläufige Gelände. Man erzählte von schrecklichen Geschehnissen, die sich einst in diesem Haus abgespielt haben sollen, von Menschen, die dort verschwunden und nie wieder gesehen wurden.
Dichte Nebelschwaden wanderten über die dunklen Granitstufen, die den Weg zum Eingang bereiteten. Die in schwarze Mäntel gekleideten Personen, die sich vor dem Anwesen trafen, sahen sich schweigend an und schritten langsam die Allee entlang bis zum Eingangstor, das sich wie von Geisterhand selbst öffnete. Amelie, die dunkelhaarige Frau, die den gespenstischen Zug anführte, legte ihre Kapuze ab und bedeutete ihren Mitversammelten mit einem Kopfnicken, ihr zu folgen. Sie gingen durch die geräumige Eingangshalle, an deren Wänden große Ölgemälde von längst vergangenen Zeitaltern zeugten. Die Mauern waren rissig und staubig, die Villa schon seit zweihundert Jahren nicht mehr bewohnt. Amelie hatte das Grundstück gekauft und es absperren lassen. Niemand von außerhalb wusste, warum das baufällige Gebäude nicht abgerissen wurde.
Die Gegenstände in diesem Haus erzählten jeder eine andere Geschichte. Die kristallinen Kronleuchter mit den abgebrannten Kerzen im Salon ließen auf große, lebendige Feste schließen, fein gearbeitete Porzellanpuppen rührten von Kindern und deren Familien. Das
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