Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
den Drang, diesem Jungen auf der Stelle die Kehle durchzuschneiden, doch dies hätte nur einen weiteren Krieg heraufbeschworen. Außerdem wusste er, dass der Jäger in einer seiner Manteltaschen mit Sicherheit einen Pflock versteckt hielt, mit dem er ihn auf der Stelle hätte lähmen können. Bei Zusammentreffen dieser Art waren jedwede tödliche Waffen untersagt, jedoch keine Gegenstände, die nur der Verteidigung dienten. So war es Jägern verboten, bei Zusammenkünften mit Vampiren scharfe Messer, Schwerter oder Ähnliches mit sich zu führen, genauso wenig wie leicht entflammbare Stoffe oder Feuer erzeugende Hilfsmittel. Die Vampire ihrerseits durften keine Schusswaffen bei sich haben und auch sonst nichts, was einen Menschen töten konnte. Auch durften sie nicht von ihren Fähigkeiten Gebrauch machen. Diese Regeln musste ein jeder von ihnen einhalten, Menschen wie auch Vampire. Bei einem Regelverstoß wäre der Frieden zwischen beiden Parteien dahin und es würde zu Gewalt und Ausschreitungen kommen, was natürlich die Aufmerksamkeit der gesamten Menschheit auf sich ziehen würde.
Joe riss sich deshalb zusammen und ging nicht weiter auf irgendwelche Sticheleien ein. Dafür war er zu stolz. Er fand es ohnehin sehr mutig, dass dieser Jäger sich ganz allein einer Menge von fünf Vampiren gegenüberstellte, von denen drei mehrere hundert Jahre alt und daher sehr mächtig waren. Doch Joe war nicht so naiv anzunehmen, dass der Jäger ohne irgendwelchen Schutz hierhergekommen war. Mit Sicherheit stand unten vor dem Eingang des Wolkenkratzers ein Auto mit zwei bis drei weiteren Jägern. Und ebenso sicher war es, dass der Jäger in diesem Raum mit einem kleinen Mikrofon ausgestattet war, was seinen Freunden erlaubte, die ganze Unterhaltung zu verfolgen und im Notfall einzuschreiten. Jäger hielten ihre Identität ebenso gerne geheim wie Vampire, darum offenbarten sich nur die wenigsten von ihnen ihren Feinden. Und so war dieser Jäger allein hier, während seine Gefährten sich versteckt hielten.
Außerdem war es nicht das erste Mal, dass ausgerechnet dieser Jäger zu einer Zusammenkunft erschien. Daniel war noch jung, wurde als Jäger großgezogen. Er war einer der fähigsten Jäger überhaupt und besaß das große Talent, selbst Vampire von sich zu überzeugen. Mit fünfzehn Jahren beging er seine erste Jagd und hatte seitdem mehr als eintausend Vampire und anderweitige Kreaturen vernichtet. Ein Rekord innerhalb seines Ordenshauses.
Schon bald begleitete er die älteren Jäger zu Versammlungen mit Vampiren und da er den Vampirrat sofort von sich überzeugen konnte, war er seit mehreren Jahren der offizielle Repräsentant seines Ordenshauses bei äußeren Angelegenheiten. Joe war Daniel vier Mal begegnet und nach wie vor empfand er die Zusammenarbeit mit Jägern als nicht richtig. Sie waren eine Bedrohung für ihre gesamte Rasse und nur Amelie mit ihren absurden Moralvorstellungen käme auf die Idee, mit diesen Meuchelmördern Geschäfte zu machen. Jäger waren nirgendwo beliebt, selbst die Highsociety der Vampirgesellschaft sähe sie am liebsten alle tot. Doch der Vertrag, den der Ältestenrat mit den Jägern geschlossen hatte, war Gesetz und kein Vampir würde es wagen, die Autorität des Hohen Rates in Frage zu stellen.
Daniel zeigte nicht die Spur von Angst. Auch das nervte Joe, denn er war es gewöhnt, dass ihm die meisten einen gewissen Respekt zollten.
„Es war nicht meine Idee, die Jäger zu kontaktieren“, sagte Joe zornig. „Amelie hat es uns aufgetragen. Ich weiß nicht, warum sie euch in dieser Sache hinzuzieht. Meiner Meinung nach geht euch das gar nichts an.“
„Du meinst, es geht uns nichts an, wenn einer der ältesten Vampire frei herumläuft und kleine Mädchen terrorisiert? Wir sind immerhin Jäger, es geht uns also sehr wohl etwas an und anscheinend kriegt ihr die Sache nicht allein in den Griff.“
Daniel blickte Joe herausfordernd an.
„Oder warum hat man mich sonst hergeschickt?“
„Wage es nicht, so mit mir zu reden, du...!“
Joe hatte sich aufgerichtet, doch in eben diesem Moment klingelte es an der Tür. Er hielt inne, ein boshaftes Blitzen in den Augen, welches Daniel furchtlos erwiderte. Joe fauchte leise und ging dann zur Tür. Amelie und Victor traten ein. Daniel stand auf und nickte ihnen zu, sein Gesicht drückte mäßige Gleichgültigkeit aus.
„Wo ist das
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