Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
bewegte sich nicht. Amelie hatte ihre Hand auf Kyras Knie gelegt und bedeutete ihr somit, gefälligst den Mund zu halten. Daniel starrte Kyra unverhohlen an. Er konnte die ihn so plötzlich überfallenden Gefühle nicht stoppen. Wäre sie ein Mensch gewesen, wären sie sicherlich nicht so zwiegespalten gewesen. Auf der einen Seite sagte ihm sein Instinkt, dass dieses Mädchen sofort sterben musste. Sein Herz jedoch sagte etwas ganz anderes. Man durfte ihr kein Haar krümmen. Sie sah so schutzlos aus, so verzweifelt. Mit aller Kraft versuchte Daniel sich auf etwas anders zu konzentrieren. Nach einiger Zeit des Schweigens erhob er das Wort.
„Ist sie das?“, fragte er und nickte in Kyras Richtung.
Er sah sie dabei nicht an. Kyra missfiel, dass er so tat, als wäre sie gar nicht hier.
Sie wollte etwas sagen, doch Amelies Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in ihren Oberschenkel.
Amelie nickte.
„Ja, das ist Kyra. Sie ist erst seit vier Monaten ein Mitglied unserer Art und noch lange nicht Herr ihrer Fähigkeiten.“
Daniel musterte sie von oben bis unten. Für einen Moment blieb sein Blick an ihren traurigen und zugleich störrisch dreinsehenden Augen haften. Mit Mühe eiste er sich los.
„Das ist nie im Leben eine Lilie. Ich weigere mich, sie aufzunehmen.“
Kyra ballte die Hände zu Fäusten. Daniel lächelte sie provozierend an.
„Es ist die einzige Alternative, die wir haben“, erklärte Amelie. „Bis wir wissen, wo Marius sich aufhält, muss sie an einen geschützten Ort. Hier ist sie zu vielen Gefahren ausgesetzt und zudem ist sie noch nicht in der Lage, sich entsprechend zur Wehr zu setzen. Im Namen unseres Rates bitte ich dich, sie zu schützen, auch wenn es nicht eurer Natur entspricht. Aber ich versichere dir, dass sie keine Gefahr darstellt und ihr ganz unbesorgt sein könnt. Darauf gebe ich dir mein Wort.“
Daniel verkniff den Mund und überlegte. Es missfiel ihm, einen Vampir zu schützen, den er eigentlich am liebsten sofort umbringen wollte. Je weniger es von diesen Biestern gab, desto besser. Aus einem undefinierbaren Grund konnte er jedoch den Gedanken nicht ertragen, dass Kyra etwas zustoßen könnte. Er war neugierig. Und er hatte einen Eid geschworen, das Gleichgewicht von Menschen und übernatürlichen Kreaturen aufrecht zu erhalten, es sei denn, sie stellten eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit dar. Und da er dieses Mädchen nicht ansatzweise für gefährlich hielt, sah er keinen Grund, der gegen Amelies Bitte sprach. Das nervte ihn. Und stimmte ihn gleichzeitig glücklich.
„Na gut“, meinte er gedehnt. „Aber wenn sie Zicken macht sehe ich mich dazu gezwungen, sie auszuschalten. Du verstehst, was ich meine?“
„Ich denke nicht, dass es jemals so weit kommt“, sagte Amelie.
Kyra, die bis jetzt ihren Mund gehalten und die Unterhaltung mit immer größer werdenden Augen verfolgt hatte, explodierte nun schlagartig wie ein Vulkan.
„Moment mal!“, schrie sie und knallte ihre Faust auf die Glasplatte. Michael zuckte vor Schreck zusammen. Joe blickte extrem wütend und Daniel machte den Eindruck, als wäre er nur milde interessiert und hätte so eine Reaktion schon erwartet. Amelie jedoch rührte keinen Muskel.
„Hat irgendeiner von euch vielleicht auch mal einen Gedanken daran verschwendet, was ich von der ganzen Sache halte? Oder ist es normal, dass jeder einfach so über meinen Kopf hinweg entscheidet?“
Es herrschte Stille. Jeder sah sie an. Kyra spürte, wie ein heißes Gefühl ihren Körper hinaufkroch. Alle anderen jedoch sahen nur die leuchtend roten Augen. Daniel legte den Kopf zur Seite und betrachtete sie. Es war faszinierend.
„Ich fürchte, du hast keine Wahl“, sagte Amelie und nahm ihre Hand.
Kyra entzog sie ihr sofort.
„Bei dieser Entscheidung ist deine Meinung leider völlig irrelevant. Es geht hier nicht nur allein um dich, sondern um eine Sache, die uns alle betrifft. Menschen wie Vampire. Wenn Marius dich findet, kann das verheerende Folgen haben. Ein Vampir hat eine sehr besondere Beziehung zu seinem Erzeuger und wenn er mental noch nicht stark genug ist, kann sein Meister alles von ihm verlangen. Der Schüler befolgt es einfach, ohne es in Frage zu stellen. Es ist gefährlich, dich hier zu lassen. Du musst an einen Ort, an dem Marius
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