Unheiliger Engel (German Edition)
Speisen war bis in die Lobby wahrzunehmen und stimulierte auch anspruchsvollste Ga u men. In einer gemütlichen, mit Ledersesseln bestückten Raucher Lounge reichten langb e inige Models zu teuren Zigarren wertvolle Cognacs und Whiskys, um eventue l le geschäftliche Gespräche auflockernder und inspirierender zu gestalten. Polit i ker, Größen aus der Wirtschaft, Medienleute und einige Stars und Sternchen tumme l ten sich und bekundeten ihr Int e resse an den Menschen, die zumeist nur am Rande existieren und verge s sen werden.
Nicht, dass Sergej Obdachlose vom Grunde her am kalten Herzen lagen, de n noch hatten ihm einige von ihnen vor vi e len Jahren in einer brenzligen Situation uneigennützig zur Seite gestanden. Als er eines Abends spät unte r wegs war und eine Autopanne hatte, hatten ihn betrunkene Schläger angegriffen und vier O b dachlose, die in der Nähe kampiert hatten, waren ihm zu Hilfe gekommen. Le i der hatte einer von ihnen diesen selbstlosen und eigentlich vollkommen unnöt i gen Einsatz mit seinem Leben bezahlt. Wie Sergej Tage später e r fuhr, hatte dieser Obdachlose Frau und Tochter, die er aus Scham und Versagen s angst seit Jahren nicht mehr aufgesucht hatte, lieber auf der Straße vegetierte, als sich ihnen zu stellen. Die Männer hatten nicht ahnen können, dass ihm die Schläger im Grunde nichts hatten anhaben können und er sie aufgrund seiner besonderen Kräfte mit Leichtigkeit hätte besiegen kö n nen. Sergej war dennoch beeindruckt über ihr soziales Verhalten, diese unerwartete Hilfe und fuhr am nächsten Tag noch ei n mal in die abseits gelegene Ecke Ha m burgs. Dort führte er viele Gespräche mit Obdachlosen und das erstaunliche und berührende Schicksal einiger Männer begann, sein Interesse zu wecken. Damals fing er an, sich auf seine Art zu reva n chieren und Mö g lichkeiten zu schaffen, kostenlos saubere und vor allem sichere Unterkunft für die Nacht zu finden und warme Mahlzeiten einnehmen zu kö n nen. Für den Get ö teten stattete er die Beerdigung aus und sorgte anonym dafür, dass seiner Familie ein respektabler Geldbetrag ausgehändigt wu r de. Das war das Mindeste, was er noch für diesen armen Hund tun konnte.
In einem seiner Konferenzräume hatte er nun extra für diesen Abend eine Ausstellung über seine vielen Gesprächspartner von der Straße und ihresgle i chen eingerichtet. Seine Galagäste konnten sich somit über Fotos und reale Geschic h ten zum Thema Obdachlosi g keit, Randgruppen mitten unter uns informieren. Auf diese Weise wollte Se r gej zum einen das eigentliche Thema des Abends nicht in Vergessenheit geraten la s sen, zum anderen noch mehr Geld aus den Taschen der Partygäste locken durch indirekte Konfront a tion. Vielleicht gelang es ihm, der Verlauf des Abends war bislang jedenfalls vielversprechend. Natürlich lag ihm auch am Imagegewinn, keine Frage. Man machte gern G e schäfte mit Partnern, die über ein gutes Image und positive Presse verfügten, um sich damit aufzuwe r ten. So war das Geschäftsleben und nichts, was er tat, war allzu uneigennü t zig.
Sergej plauschte mal hier , mal dort, lächelte in Kameras, posierte mit Ku n den, potenziellen Neupartnern, Politikern und dem Bürgermeister samt füll i ger Gattin.
Irgendwann später zog er sich in den Hintergrund zurück, beobachtete die Szen e rie und nahm wahr. Die Lichter waren ihm viel zu hell und die Musik zu laut, doch die Stimmung im Ballsaal steigerte sich zu immer neuen Höh e punkten, was ihm nur recht sein kon n te. Im Endeffekt würde sich diese gute Stimmung in Geberlaune ummünzen und ihn in ein posit i ves Licht rücken.
Sein Eventteam hatte ganze Arbeit geleistet und alles schien perfekt zu la u fen. Gerade wurde eine Tombola abgehalten und teilweise wertvolle, manchmal sku r rile oder einzigartige Preise lockten die Gäste, sich gegenseitig zu überbieten. Ein Kuss von einem namha f ten Schauspieler wurde sogar für 25.000 Euro ersteigert und der Bieter erntete nicht nur das Wohlwollen seiner Gattin, sondern auch tosenden Applaus. Das war nicht nur Sinn und Zweck dieser Gala, sondern hei z te auch die Stimmung an. Im Leben war alles nur ein Wet t bewerb.
„Guten Abend, Herr Kasamarov.“
Als die wohlklingende weibliche Stimme an sein Ohr drang, drehte sich Sergej voller Vorfreude um und blick t e in die tiefgründigen Augen der Jäg e rin, die an einen ihm unbekannten Mann gelehnt vor ihm stand. Die Jägerin, so hatte er sie insgeheim getauft. Sie trug ein e n
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