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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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hatte sich geschworen, bei Harrys Abenteuern nicht mehr mitzumachen. Die Saufgelage waren eine Sache für sich, aber die Unternehmungen standen auf einem ganz anderen Blatt.
    »Vie-iel zu tun? Grrroße Pläne? Zu grrroß für deine Frrreunde?« Vielleicht sollte das ja ein mexikanischer Akzent sein.
    »Nein, das ist es nicht«, sagte Buddy und suchte fieberhaft nach einer Ausrede, aber ihm fiel nichts ein. Nur: »Ich habe heute so viele Schularbeiten auf.« Runzelte die Stirn; wusste, wie lahm das klang.
    Schweigen von Harry am anderen Ende der Leitung. Ein ungläubiges Schweigen, wie Buddy sehr wohl wusste. Dann: »Gewissensbisse, Buddy?« Mit seiner normalen Stimme.
    Typisch Harry. Fuhr einem immer in die ungedeckte Flanke. »Eigentlich nicht«, sagte Buddy und schnitt eine Grimasse. »Ich hab nur keine Lust.« Legte sich einen ehrlichen Tonfall zu. »Und außerdem hab ich wirklich einen Riesenhaufen Schularbeiten auf.« Irgendjemand hatte mal gesagt: Wer Ehrlichkeit vortäuschen kann, dem ist der Erfolg im Leben gewiss.
    »Willst du alleine saufen?«
    »Wie bitte?«
    »Das ist ein sicheres Anzeichen, Buddy.«
    »Ein sicheres Anzeichen wofür?«, fragte Buddy hilflos. Er wollte nicht fragen, wollte dieses Gespräch nicht fortführen, fühlte sich aber nicht in der Lage es zu beenden.
    »Dass man Alkoholiker ist. Alleine saufen ist ein sicheres Anzeichen dafür.«
    »Ich habe nicht vor zu saufen«, gab Buddy zurück. »Weder allein noch sonst wie.« Aber genau das hatte er vor.
    Das war einer der Gründe, warum er Harry Flowers nicht ausstehen konnte. Er musste immer alles verderben. Was war denn dagegen einzuwenden, wenn man hier und da mal was trank? Ob nun alleine oder nicht? Harry ergötzte sich daran, an allem und jedem die negative Seite aufzuspüren. Hob immer den Deckel hoch, damit darunter etwas Grässliches zum Vorschein kam. So wie neulich im Park.
    Er hatte neben Harry im Auto gesessen, und sie hatten überlegt, was sie am Abend als »Spaß« unternehmen wollten. Buddy hatte dabei allerdings gehofft, dass sie nichts unternehmen würden. Was in dem Haus geschehen war, widerte ihn immer noch an.
    Im Park tobten Kinder ausgelassen herum, flogen auf der Schaukel hoch in die Luft, sausten die Rutschbahn hinunter. Die Luft hallte von fröhlichem Kreischen und Lachen wider. Ein paar kleine Mädchen hielten sich an den Händen, gingen im Kreis und sangen.
    »Ring around the rosy … a pocket full of posies … ashes, ashes … we all fall down …« *
    »So was Blödes«, sagte Harry.
    »Was ist blöd?«, fragte Buddy, verärgert darüber, dass Harry an spielenden Kindern etwas Blödes finden konnte.
    »Diese Mädchen wissen gar nicht, was sie da tun«, sagte Harry und wies mit dem Kinn zu den Kleinen hinüber. »Letzte Woche hat Potter im Englischkurs über diesen Kinderreim gesprochen. Das haben Kinder zur Zeit der Pestepidemie gesungen, als Millionen Menschen daran starben. Die Leute bekamen einen rosenroten Ausschlag und rieben sich mit Kräutern und Blumen ein. Und dann sind sie alle umgefallen und gestorben …«
    Buddy zog ein finsteres Gesicht. Er sah unverwandt zu den kleinen Mädchen hin, die sich wieder aufrappelten und erneut einen Kreis bildeten.
    »Weißt du, was du bist, Harry?«, fragte er. »Ein Spielverderber. Ich habe Ring around the rosy immer für etwas Nettes gehalten, ein hübsches Spiel für Kinder. Aber du musstest das natürlich kaputt machen.«
    »Tut mir leid, Buddy, aber ich hab mir das nicht aus den Fingern gesogen«, sagte Harry. Er hörte sich nicht so an, als täte es ihm leid. »Potter hat uns darüber eine Arbeit schreiben lassen, deshalb hab ich’s mir gemerkt. Normalerweise hab ich kein Interesse an Kinderreimen und diesem ganzen dummen Zeug.«
    »Das ist kein dummes Zeug«, sagte Buddy. Die kleinen Mädchen gingen wieder im Kreis und sangen das Lied noch mal. Ihre Stimmchen stiegen in die Luft.
    »Ashes, ashes …«
    Ein kleines Ding mit langen blonden Haaren stolperte und fiel hin.
    »We all fall down …«
    Und runter ging’s ins Gras, in einem Gewirr aus Armen und Beinen. Die kleine Blonde weinte, ihre Backen glänzten vor Tränen.
    »Vielleicht ist es tatsächlich nicht so dumm«, sagte Harry. »Denn eines Tages fallen wir alle um, nicht wahr?« Seine Stimme war trocken und scharf, klirrte wie Eiswürfel.
    Und auch jetzt am Telefon war seine Stimme trocken und eisig, als er sagte: »Natürlich wirst du nicht alleine saufen.«
    Dann Worte, die wie Peitschen

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