Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
Vom Netzwerk:
den Schultern, schaute weg. »Interessiert mich nicht mehr. Ist sowieso bloß Kinderkram.«
    »Kinderkram? Ich dachte, für solche Spiele muss man ein richtiges Genie sein?«
    Er schaute sie an, kniff die Augen zusammen. »Wieso interessierst du dich auf einmal so dafür?«
    »Mich interessieren nicht die Spiele, sondern du interessierst mich. Warum du dich nicht mehr damit beschäftigst …«
    Keine Antwort. Aber wenigstens lief er auch nicht weg. Sie wagte den Sprung ins kalte Wasser. »Hat es etwas damit zu tun, was Karen passiert ist? Mit dem Überfall?«
    Wieder keine Antwort. Er fummelte immer noch an seinem Rad herum.
    »Ich mag unser Haus nicht mehr«, sagte er, so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte. »Und Burnside hasse ich auch.«
    »Ich bin auch nicht mehr so begeistert davon«, sagte sie. »Aber wir müssen hier leben. Wir können nicht einfach wegziehen.«
    »Warum nicht? Wir sind von Monument hierhergezogen. Warum können wir nicht wieder umziehen?«
    »Du hast doch gehört, was Dad gesagt hat. Damit würden wir ihnen den Sieg überlassen, Artie.« Mit einem Mal sah sie ihn nicht als widerborstigen Bengel, sondern als verstörtes Kind, für das sie große Zuneigung empfand.
    »Den Sieg überlassen?«, fragte er und schaute endlich auf. »Wem?«
    »Denen, die das getan haben«, sagte Jane. »Ich stell mir vor, dass sie es gern sehen würden, wenn wir wegziehen. Das wäre ein Zeichen dafür, dass sie unser Leben verändert haben.« Auf diesen Gedanken war sie gerade erst gekommen, in diesem Gespräch. »Und verdammt noch mal, Artie, das können wir nicht zulassen.«
    Er schnitt eine Grimasse, bekam schmale Augen.
    »Oder?«
    »Ich glaub nicht«, sagte er und sah ihr dabei ins Gesicht.
    Sie hatte das Gefühl, ihm zum ersten Mal von Mensch zu Mensch begegnet zu sein. Nur mit Mühe konnte sie das Bedürfnis bezwingen, ihn zu umarmen, wie sie eine Freundin umarmen würde.
    Er nickte, und bevor er sich wieder an seinem Rad zu schaffen machte, trafen sich noch einmal ihre Blicke. Zwischen uns hat es gefunkt, dachte Jane erfreut, als sie ins Haus ging.
    Aber Artie beschäftigte sich auch weiterhin nicht mit seinen Videospielen.
    Drei Wochen nach Vaughn Mastersons Beerdigung hatte der Großvater des Rächers angefangen, ihm Fragen zu stellen.
    »Weißt du, was an der Sache mit der Waffe komisch ist?«
    »Was ist daran denn komisch, Gramps?«, fragte der Rächer mit ausdruckslosem Gesicht.
    »Ich will dir sagen, was komisch daran ist«, sagte Gramps. Er sprach stets langsam und einfach, zog die Worte in die Länge. »Ich frag mich, wie jemand von außerhalb mein Stück stehlen konnte.«
    Er nannte seinen Revolver immer sein Stück , aber das Wort, das jetzt in der Luft hing, ernst und bedrohlich, war außerhalb .
    Der Rächer sagte nichts. Sein Großvater redete gern. Der Rächer ließ ihn in seinen Erinnerungen schwelgen, von einem Thema zum anderen schweifen. Meistens sprach er von interessanten Dingen und erzählte Geschichten aus seiner Zeit bei der Polizei, vor allem von früher, als er an der Byrant Bridge Streife ging, dem schlimmsten Viertel der Stadt.
    »Ich meine damit«, fuhr sein Großvater fort, als beantwortete er eine Frage, die der Rächer ihm gestellt hatte, »dass ich doch immer abschließe. Wie ist der Dieb hereingekommen? Es gibt kein Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen.«
    Der Rächer schluckte. »Vielleicht hatte er einen Schlüssel.«
    »Einen Schlüssel?« Sein Großvater drehte sich um und heftete den Blick seiner dunkelbraunen Augen auf ihn. Polizistenaugen.
    »Vielleicht so ein Dietrich, von dem du mir erzählt hast? Ein Schlüssel, der überall passt?«, würgte der Rächer hervor.
    »Nicht an dieser Tür, nicht bei diesem Schloss«, sagte sein Großvater. »Das ist eine spezielle Polizei-Verriegelung. Nein, einen Schlüssel können wir ausschließen. Was bleibt dann noch?«
    Sein Großvater schaute ihn immer noch an, und der Rächer gab sich Mühe, nicht zu blinzeln. »Die Fenster?«, fragte er. »Die lässt du manchmal offen, damit Luft hereinkommt.«
    »Um es mit zwei Worten zu sagen: un-möglich«, sagte er. Er zitierte dauernd einen Mann namens Sam Goldwyn, einen Filmproduzenten vergangener Zeit, der verrückte Sachen gesagt hatte. Zum Beispiel: Bezieht mich mit aus. »Wie soll jemand an ein Fenster im fünften Stock kommen?«
    »Mit einer Leiter?«, schlug der Rächer vor.
    Sein Großvater machte sich gar nicht erst die Mühe, auf diese Anregung einzugehen. Er

Weitere Kostenlose Bücher