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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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knallten: »Denk dran, Buddy. Du hast bei dem, was neulich geschehen ist, begeistert mitgemischt. Es hat dir einen Kick gegeben. Jetzt macht dir vermutlich dein Gewissen zu schaffen, aber damals hattest du deinen Spaß daran.«
    Buddy gab keine Antwort. Und versuchte nicht zu leugnen. Denn Harry hatte Recht, zum Teufel mit der ganzen Geschichte. Buddy hatte seinen Spaß daran gehabt, hatte große Befriedigung darin gefunden, das Haus zu zerschlagen und zu verwüsten. Es war, als könnte er es damit seiner Mutter und seinem Vater und der ganzen gottverdammten Welt heimzahlen. Oder war das nur eine Ausrede? Aber eine Ausrede wofür?
    »Stimmt’s, Buddy?« Diese kühle, bohrende Stimme.
    »Stimmt, Harry«, sagte Buddy und kapitulierte. Aber ich habe nicht an die Wand gepinkelt. Und ich bin nicht über das Mädchen hergefallen.
    »Schön, Buddy. Und das heißt, dass du zu uns gehörst.«
    Aber ich habe dem Mädchen auch nicht geholfen, nicht wahr? War nicht der Held, der zu ihrer Rettung herbeieilte. Ein toller Held, Buddy.
    »Verstehst du, Buddy? Du bist nicht allein. Du musst nicht alleine trinken.«
    Ein Seufzer entschlüpfte Buddys Lippen. Dann versuchte er, seiner Stimme noch eine Spritze jener Ehrlichkeit zu verpassen.
    »Das weiß ich, Harry, und ich weiß es auch zu schätzen. Aber ich mu ss diese blöden Schularbeiten machen, und mir geht’s nicht so besonders. Vielleicht krieg ich die Grippe oder so …«
    »Klar, Buddy. Ich wollte ohnehin nur mal nach dir sehen.« Kurze Pause. »Halt dich senkrecht, Bud-die.« Wieder französisch. »Dschüs, bis bald …«
    Und hängte auf, bevor Buddy etwas sagen konnte.
    Die Besuche im Krankenhaus waren für Jane ein ebenso selbstverständlicher Teil ihres Lebens geworden wie der tägliche Weg zur Schule. Obwohl Karen während der Besuche keine Reaktionen zeigte, empfand Jane eine größere Nähe zu ihr als jemals zuvor. Manchmal ergriff sie ihre Hand, legte den Finger auf Karens Handgelenk und freute sich, wenn sie den Puls gleichmäßig pochen hörte, stark und lebendig. Sie tat so, als wäre der Puls eine Art Morsezeichen, mit denen Karen ihr mitteilte, dass sie zurückkommen würde, keine Sorge, es wird alles gut. Gelegentlich, wenn die Krankenschwestern Karen versorgen mussten, spazierte Jane auf den Fluren herum. Sie bemühte sich, nicht in die Zimmer zu schauen, an denen sie vorbeikam; wollte nicht das Leid anderer Menschen beobachten oder in ihre Intimsphäre eindringen.
    Eines Nachmittags entdeckte sie die Krankenhauskapelle. Kaum als Kapelle zu bezeichnen, keiner Konfession zugeordnet, Bänke ohne Kniekissen, gedämpftes Licht, eine nachgemachte Buntglasscheibe, von hinten beleuchtet, in die Innenwand eingefügt. Als Jane in der Bank saß, vom Treiben hinter der Tür abgeschieden, fand sie zu einer heiteren Gelassenheit. Sie betete sogar, jedenfalls so was Ähnliches, wandelte die alten Gebete ihrer Kindheit in Bitten für Karen um. »Gott ist groß, Gott ist gut, bitte mach meine Schwester wieder gesund …« Und: »Müde bin ich, ruh mich aus. Vater, lass die Augen dein über Karens Bette sein – und hilf meiner Schwester …« Sie müsste sich eigentlich albern vorkommen, dass sie so etwas tat, albern und respektlos. Aber das empfand sie nicht so.
    Ihr wurde bewusst, dass sie schon seit sehr langer Zeit nicht mehr richtig gebetet hatte. Zwar ging sie mit ihrer Familie regelmäßig zum Sonntagsgottesdienst, aber dabei vollführte sie nur ganz mechanisch die üblichen Handlungen. Ein Sonntagmorgen in ihrer alten Methodistenkirche in Monument hatte mehr mit einem geselligen Beisammensein zu tun als mit Religion. Jane gefiel es, wenn die Familien sich nach dem Gottesdienst auf dem Kirchplatz versammelten. Pastor William Smith war alt und heilig und fromm gewesen, aber auch ungeheuer langweilig. In Burnside hatten ihre Eltern die Familie in der hiesigen Methodistengemeinde angemeldet. Die Kirche war so modern, dass das Gebäude eher nach einem Freizeitzentrum aussah. Die Bänke waren wie in einem Theater im Rund angeordnet. Der Pastor hier war weder alt noch langweilig, aber er gab sich allzu große Mühe, predigte zu lange, und dabei schweiften Janes Gedanken ab. Sie fragte sich, warum sie überhaupt in die Kirche gingen. Irgendwie glaubte sie – und wusste selbst nicht, woher dieser Glaube kam –, dass man eines Tages in den Himmel kommen würde, wenn man freundlich und geduldig war und niemandem mit Absicht wehtat. Dieses eines Tages war so weit weg,

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