Unheilvolle Minuten (German Edition)
Versprechungen gemacht. Er war in Eile gewesen, hatte hastig seine Sachen gepackt, mit tief gefurchter Stirn, und dabei hatte er sich gekratzt, als wäre ihm die Kleidung, die er auf dem Leib trug, zu eng geworden. Sagte ständig: Tut mir leid. Es tut mir wirklich leid, dass ich dir das antun muss, Buddy. Schmiss seine Hemden kreuz und quer in den Koffer, schlampig bis zuletzt. Sag auch Addy, wie leid es mir tut . Addy hatte sich geweigert, mit ihm zu sprechen, ließ ihn nicht mal in ihr Zimmer. Ich schick dir jede Woche dein Taschengeld – tut mir leid, dass ich das per Post machen muss . Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid.
»Können wir uns nicht manchmal treffen?«, hatte Buddy gefragt.
»Doch, doch«, gab sein Vater zurück, auf das Packen konzentriert. Das hörte sich ganz und gar nicht überzeugend an, klang mehr nach nein, nein . Buddy sah zu, wie sein Vater sich damit abmühte, den vollgestopften Koffer zu schließen. Und dabei ging ihm auf, dass man sein ganzes Leben mit einem Menschen im selben Haus wohnen konnte, ohne ihn wirklich zu kennen. Sein Vater war immer sein Vater gewesen. Ein richtiger Vater . Tat alles, was sich für einen Vater gehört. Ging zur Arbeit und kam nach Hause. Spielte mit Buddy hinten im Garten Baseball. Ging mit Addy und ihm in den Zirkus, nahm sie am vierten Juli mit zum Feuerwerk. War berühmt für seine Nickerchen, konnte im Handumdrehen einschlafen. Fuhr ungern Auto, überließ bei langen Fahrten seiner Mutter das Steuer, während er vor sich hin döste. Meine Schlafmütze, hatte Buddys Mutter ihn liebevoll und zärtlich genannt.
Jetzt war nichts mehr mit Zärtlichkeit. Eine verlassene Mutter und in der Post ein Scheck über fünfundzwanzig Dollar. Dazu war sein Vater geworden.
Zweimal hatte er seinen Vater im Büro angerufen. Wieder: Tut mir leid. Und: Zu viel zu tun. Vielleicht nächste Woche. Ich ruf dich an. Er rief nicht an, aber die Schecks kamen auch weiterhin. Die Schecks, die den Alkohol finanzierten. Den Alkohol, der es ihm leichter machte, dass sein Vater keinen Kontakt zu ihm aufnahm.
Und jetzt sah er wieder einen Scheck vor sich, betrachtete die Unterschrift, die er bis vor kurzem auf seinen Zeugnissen gesehen hatte. Letzte Woche hatte seine Mutter sein Zeugnis unterschrieben. In plötzlicher Wut dachte er: Ich sollte ihm den Scheck zurückschicken, um ihm zu zeigen, dass er mich nicht mit Geld kaufen kann.
Aus dem Schreibtisch seiner Mutter holte er einen Briefumschlag und einen Kugelschreiber. Schrieb den Namen seines Vaters auf den Umschlag, seine Büroadresse. Riss ein Blatt von dem Block ab, den seine Mutter immer bereitliegen hatte, um sich Notizen machen zu können. Überlegte, was er schreiben sollte. Beschloss, überhaupt nichts zu schreiben. Sollte doch der zurückgeschickte Scheck für sich sprechen. In der Schublade fand er ein kleines Heftchen mit Briefmarken, nahm eine heraus und klebte sie auf den Umschlag. Faltete den Scheck zusammen, steckte ihn hinein. Leckte die Gummierung an der Umschlagklappe ab, klebte den Brief zu, seufzte vor Erleichterung. Es ist immer besser, etwas zu tun, als nichts zu tun. Das hatte irgendein Schriftsteller mal gesagt.
Er kontrollierte seine Brieftasche – drei einsame Ein-Dollar-Scheine. In seinem Alter war der Kauf von Alkohol nicht nur illegal, sondern auch teuer. Harry hatte ihn mit einem Obdachlosen bekannt gemacht, der durch die Innenstadt streifte. Er hieß Crumbs, war unrasiert, triefäugig, schob einen Einkaufswagen voller Lumpen und Tüten vor sich her, über deren Inhalt Buddy nur Vermutungen anstellen konnte. Trotz seines Namens und seines verschlampten Aussehens war Crumbs ein gewiefter Geschäftsmann. Er verlangte für seine Dienste eine Pauschale von fünf Dollar pro Flasche, wobei der Preis für den Alkohol noch dazukam. Selbst wenn Buddy nur eine kleine Flasche bestellte, die mit weniger als vier Dollar ausgezeichnet war, änderte das nichts an den Kosten für die Dienstleistung. Buddy war daher oft gezwungen, eine große Flasche zu bestellen.
Das Ergebnis war, dass er von den fünfundzwanzig Dollar, die sein Vater ihm als zusätzliches Taschengeld zahlte, immer abhängiger wurde. Zusammen mit den fünfzehn Dollar Taschengeld von seiner Mutter hätte er eigentlich mehr als genug haben müssen. Das war aber nicht der Fall. Er musste von diesem Geld auch seine persönlichen Ausgaben bestreiten, dazu kamen das Mittagessen in der Schule und die Kosten, die ihm entstanden, wenn er mit Harry
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