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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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dass sie nicht oft daran dachte. Aber jetzt in der Kapelle dachte sie daran. Sie nahm sich fest vor, ein besserer Mensch zu werden. Ging die Zehn Gebote durch, jedenfalls die, an die sie sich erinnern konnte, und stellte erschrocken fest, dass sie nur noch ein paar davon wusste – du sollst nicht stehlen, du sollst nicht töten, du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut. Sie stahl nicht und tötete nicht, und sie begehrte nichts, was ihren Nächsten gehörte, war sich vage bewusst, dass dieses begehren Neid meinte. Aber was konnte sie sich darauf schon einbilden? Du sollst Vater und Mutter ehren. Ich muss mich mehr um meine Eltern kümmern, dachte sie. Muss freundlicher zu ihnen sein und ihnen helfen, über all das hinwegzukommen. Aber sie wusste nicht, wie sie das machen sollte.
    In der Krankenhauskapelle merkte sie plötzlich, dass sie diesen schrecklichen Geruch schon seit einigen Tagen nicht mehr wahrgenommen hatte. War er für immer verschwunden?
    Eines Tages, als sie von der Kapelle zurückkam und zu Karen hineingehen wollte, hörte sie ihre Mutter sprechen. In der Hoffnung, dass Karen sie hören konnte, hielt die Familie sie über alles, was zu Hause und in der Nachbarschaft geschah, auf dem Laufenden. Ihre Schulfreunde erstatteten fast täglich Bericht, zuerst nur zögernd, aber wenn sie von den Ereignissen an der Burnside Highschool erzählten, legte sich ihre Befangenheit schon bald.
    Die Qual in der Stimme ihrer Mutter ließ Jane an der Tür verharren, und sie ertappte sich dabei, dass sie schamlos lauschte.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Eigentlich sollte ich dir all das gar nicht sagen, aber ich muss mit jemandem sprechen. Ich habe so eine verrückte Vorstellung, Karen, dass dich etwas davon abhält, wieder zu Bewusstsein zu kommen. Weil du Angst hast. Vor irgendetwas. Das brauchst du nicht. Hab keine Angst. Wir alle haben dich lieb. Wir werden dich beschützen. So ein schrecklicher Überfall wird nicht noch mal passieren. Wir haben eine richtig gute Alarmanlage einbauen lassen. Wir werden gut auf dich aufpassen …«
    Stille im Zimmer. Von Karen keine Reaktion, natürlich nicht. Jane lugte hinein und sah Karen mit geschlossenen Augen im Bett liegen, still und stumm. Die Qual – oder schon eher Verzweiflung – in der Stimme ihrer Mutter veranlasste Jane, sich wieder zurückzuziehen. Sie wollte ihrer Mutter in diesem Augenblick nicht gegenübertreten. Ihre Mutter hatte so viel Tapferkeit zur Schau getragen, war bei der Hausarbeit, den täglichen Verrichtungen so fröhlich zugange. Alles nur Schein. So tun als ob, der Familie zuliebe.
    »Du musst zurückkommen, Karen. Vorher kommt nichts in Ordnung. Wir wohnen alle im selben Haus, aber wir sind voneinander getrennt. Wir sind keine Familie mehr.«
    Das stimmt, dachte Jane, und so etwas wie Entsetzen überkam sie. Sie waren alle so höflich zueinander. Reichst du mir bitte mal das Salz? Das ist aber eine hübsche Bluse, Jane. Ein tolles Zeugnis, Artie. Nicht so wie die Familienkräche früher, um zu spätes Nachhausekommen, mittelmäßige Noten, die ewige Streitfrage, wer wessen Pullover trug. Jetzt behandelten sie einander, als wären sie aus Glas und würden zerbrechen, wenn ein zorniges Wort fiel.
    Jane kam nicht ins Zimmer. Sie ließ ihre Mutter dieses traurige, einseitige Gespräch fortführen und kehrte in die Kapelle zurück.
    Buddy machte den Brief auf, der gar kein richtiger Brief war. Zerriss den Umschlag nicht, sondern schlitzte ihn vorsichtig mit einem Messer auf. Machte langsam, so dass ihm Zeit blieb, Spekulationen über den möglichen Inhalt anzustellen. Was wirklich drin war, wusste er – der Scheck, den sein Vater ihm jede Woche schickte. Fünfundzwanzig Dollar. Fast doppelt so viel wie sein Taschengeld früher, als sein Vater noch zu Hause lebte. Sonst befand sich nie etwas in dem Umschlag, und Buddy tat immer so, als wäre er nicht enttäuscht. Scheiß drauf, pflegte er zu murmeln, zerknüllte den Umschlag und schmiss ihn weg. Scheiß drauf, Buddy, und lös den Scheck ein.
    Jede Woche hoffte er darauf, dass dem Scheck eine Nachricht von seinem Vater beiläge. Er wäre schon mit ein paar hastig hingekritzelten Worten auf einem Fetzen Papier zufrieden gewesen. Aber der Umschlag enthielt immer nur das Geld. Die fünfundzwanzig Dollar waren natürlich toll. Dadurch konnte er sich mit Alkohol versorgen. Aber – aber was? Das wusste er selbst nicht so recht.
    Sein Vater hatte am Tag seines Auszugs keine

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