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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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Augenblick war dieser Mann vor ihr in der Eingangshalle auf jeden Fall nicht – merke: nicht  – ihr Vater gewesen. Ihr Vater hätte sie niemals so ansehen können, als hätte auch er eine Fremde vor sich und nicht seine Tochter. Und kurz darauf, als er diese schrecklichen Worte aussprach, ihr diese entsetzliche Frage stellte – Hast du ihm den Schlüssel gegeben?  –, hatte ihre Mutter sie auf die gleiche Weise angesehen, mit Augen, die so aussahen wie die ihres Vaters, nur dass sich unter die Beschuldigung noch Staunen und Verwirrung mischten.
    Oder war sie ungerecht?
    Sie hatte sich abgewandt, ganz schnell, nur noch darauf bedacht, von diesen anklagenden Augen wegzukommen. War die Treppe hinaufgestürmt, während ein Schluchzen aus ihr hervorbrach. Vielleicht, dachte sie, habe ich nicht lange genug gewartet, um von meinem Vater eine Erklärung zu erhalten.
    Sie schaute auf die Uhr. Seit sieben Stunden und zweiunddreißig Minuten war sie jetzt in ihrem Zimmer. Hatte nichts zu Abend gegessen, hatte den Fernseher nicht angemacht. Hatte kein Buch aufgeschlagen und keine CD aufgelegt. Diese letzten Stunden hatte sie wie ein Einsiedler oder ein Mönch gelebt, fastend, in Schweigen verharrend. In den ersten zwei oder drei Stunden war im Erdgeschoss kein Ton zu hören gewesen, nicht einmal eine ins Schloss fallende Tür oder gedämpfte Stimmen aus dem Fernseher. Noch nicht einmal das Telefon hatte geklingelt. Dann hatte erst ihre Mutter und dann ihr Vater bei ihr angeklopft. Wechselten einander ab.
    Jetzt wieder ihre Mutter. »Weißt du, was du da tust, Jane?«
    Sie gab keine Antwort, aber ihr Schweigen fragte: Was tu ich denn?
    »Du bestrafst uns. Für etwas, das du getan hast.«
    Sie beschuldigten sie immer noch.
    »Jane.«
    Ihr Vater war wieder an der Reihe. »Du hast uns nicht genug Zeit gelassen. Ich habe nichts davon gesagt, dass ich diesem Jungen glaube . Ich habe dich nur gefragt, wollte es von dir mit deinen eigenen Worten hören.«
    Er hatte nicht gefragt. Er hatte ihr mitgeteilt, was der Junge gesagt hatte – dass sie ihm den Schlüssel gegeben hatte. Sie würde das nie vergessen, weder seine Worte noch seine Augen oder den Klang seiner Stimme.
    »Wir wissen, dass du ihm den Schlüssel nicht gegeben hast. Wir wissen doch, dass du so etwas nicht tun würdest.«
    Und ihre Mutter. »Du hast den Schlüssel verloren, nicht wahr? Und hattest Angst, es uns zu sagen, weil du dauernd deine Sachen verlierst. Stimmt’s?«
    Ihr war natürlich klar, dass ihre Eltern die ganze Zeit darüber geredet hatten, unten, in der Küche, im Wohnzimmer. So wie sie sich hier in ihrem Zimmer damit herumgeschlagen hatte.
    Das Schrecklichste daran war: die Verwüstung. Das, was zu ihrer jetzigen Situation geführt hatte. Ihre Freundinnen Patti und Leslie fort, ihr Vater ein Fremder und ihre Mutter gemeinsam mit ihm gegen sie verschworen. Wie sie die Täter hasste, diese gesichtslosen Zerstörer, und diesen Kerl, Harry Irgendwas, der gelogen hatte und versuchte, sie in die Zerstörung mit hineinzuziehen.
    Das waren ihre Feinde, nicht ihr Vater oder ihre Mutter. Die Zerstörer waren der Grund dafür, dass sie hier in ihrem eigenen Zimmer gefangen saß. Der Grund, dass ihre Eltern solche Qualen ausstanden.
    Sie ging an die Tür, drehte den Schlüssel um, machte auf. Sah ihre Eltern, denen Kummer und Besorgnis ins Gesicht geschrieben standen, als sie zaghaft zu ihr hinschauten. Und gleich darauf lagen sie einander in den Armen, eng umschlungen, mit feuchten Wangen, und ihre Mutter flüsterte leise: Jane, Jane , wie ein Gebet, als wäre sie von einer langen Reise zurückgekehrt, während ihr Vater sie so fest an sich drückte, als müsste er die Konturen ihres Körpers spüren, um sicher zu sein, dass sie auch wirklich da war.
    Sie gab sich den Tröstungen ihrer Eltern hin, ließ sich fallen, sonnte sich in ihrer Liebe und Wärme, aber in einer kleinen, fernen Ecke ihres Inneren fragte sie sich, ob es je wieder so werden würde wie früher.
    »Es tut mir leid.«
    Ein Flüstern, leise, entfernt, als käme es aus einem fernen Land, von einem anderen Planeten.
    »Wer spricht da?«, fragte sie, verwirrt, misstrauisch, wusste nicht, ob sie sich vielleicht verhört hatte. Es tut mir leid. Wem tat was leid? »Was haben Sie gesagt?«
    Sie war allein im Haus. Nach der Schule. Als das Telefon klingelte, hatte sie automatisch abgenommen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wer anrufen könnte. In letzter Zeit bekam sie keine Anrufe mehr. Als

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