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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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konnte er nicht tun. Ihm blieb keine andere Wahl …«
    »Weil du einen Hausschlüssel hattest«, sagte Buddy, immer noch leicht verwirrt. Plötzlich wusste er, was da fehlte. »Woher hattest du den Schlüssel, Harry?«
    Harry lächelte breit, lehnte sich zurück. »Ich habe ausgesagt, dass ich ihn von dem Mädchen habe. Von der Tochter dieses Mannes.« Ein triumphierendes Lachen in der Stimme.
    Buddy fuhr zurück, als hätte Harry ihn geschlagen. »Das Mädchen, das …«
    »Nicht die im Krankenhaus«, sagte Harry. »In dem Haus wohnen zwei Mädchen. Die andere. Sie heißt Jane. Jane Jerome …«
    »Sie hat dir den Hausschlüssel gegeben?«, fragte Buddy und konnte nicht verhindern, dass ungläubiges Staunen in seiner Stimme lag.
    »Du passt nicht auf, Buddy. Ich habe gesagt, dass ich ausgesagt habe, sie hätte mir den Schlüssel gegeben. Merkst du den Unterschied?«
    Buddy nickte. Mit einem Mal war er nüchtern, die Benommenheit war gänzlich verschwunden, das angenehme Schweben vorbei. Ein Schmerz setzte sich in seinem Kopf fest, pochte dumpf über seinen Augen.
    »Wie bist du an den Schlüssel gekommen?«
    »Ganz einfach«, sagte er. »Stell dir folgende Szene vor: Ich bin eines Nachmittags im Einkaufszentrum und sehe, wie ein Mädchen ihr Portemonnaie aus der Tasche zieht. Dabei fällt ein Schlüssel zu Boden. Sie merkt nichts davon. Als der Kavalier, der ich bin« – und er warf Buddy einen lüsternen Blick zu, mit einem so boshaften Grinsen, dass Buddy zusammenzuckte –, »bin ich zu ihr hingegangen und habe den Schlüssel aufgehoben. Wollte ihn ihr geben. Aber sie ging weg, in den Pizza Palace . Ich sah ihr nach, den Schlüssel in der Hand. Betrachtete ihn. Was für ein Schlüssel war das? Sah nicht nach einem Autoschlüssel aus. Was hat ein Mädchen ihres Alters sonst noch für Schlüssel? Für das Schließfach in der Schule? Die meisten Schließfächer haben ein Kombinationsschloss. Nein. Dann muss es also – voilà  – der Hausschlüssel sein, der Schlüssel zu ihrer Wohnung.« Harry legte eine Pause ein, und seine Stimme wurde verträumt. »Da ist etwas Komisches passiert, Buddy. Ich dachte: Da stehe ich und halte den Schlüssel zu ihrer Wohnung in der Hand. Dieser Schlüssel öffnet mir die Tür zu ihrem Zuhause, ihrer Familie, ihrem Privatleben. Himmel, was für ein Gefühl. Ich bin ihr in den Pizza Palace nachgegangen und habe ein paar Erkundigungen über sie eingezogen. Und habe erfahren, dass sie Jane Jerome heißt und in Burnside wohnt …« Er wedelte mit der Hand durch die Luft. »Der Rest ist Geschichte …«
    Dann, das Gesicht zu Buddy gewandt, wieder ernst: »Hör mal, wie ich an den Schlüssel gekommen bin, ist nicht wichtig. Wichtig ist nur die Wirkung , die der Schlüssel auf dem Polizeirevier ausübte. Eben noch sind alle entschlossen, alle möglichen Anklagen zu erheben. Und im nächsten Augenblick sagen sie: Halt mal, wollen wir uns den Fall doch noch mal näher betrachten. Ihr Vater nimmt die Polizisten beiseite. Sein Gesicht ist so fahl, dass es aussieht wie die Asche in der Glutschale eines Gartengrills. Ich weiß, was ihr Vater sagt, weiß, was er denkt. Er denkt an Schlagzeilen. Zum Beispiel: Mädchen an der Zerstörung ihres eigenen Hauses beteiligt . Ihr Foto in der Zeitung, vielleicht auch im Fernsehen. Begreifst du, Buddy? Begreifst du nun, warum man mir glauben musste? Warum ihr Vater damit einverstanden war, dass die schweren Anklagepunkte fallengelassen wurden? Warum er den Schadenersatz akzeptierte, ohne viel Wind um die Sache zu machen? Warum die Polizei beschloss, mir meine Aussage abzunehmen, dass ich alleine war? Mit einem Mal waren nämlich alle schon heilfroh, wenn sie das Ganze nur so schnell wie möglich über die Bühne bringenkonnten …«
    Erst später, als Harry schon längst davongefahren war und Buddy ins Bett kroch, in der Hoffnung, dass die Magentablette seine Übelkeit lindern würde – erst da kam ihm der Gedanke:
    Und was ist mit dem Mädchen?
    He, Harry, was ist mit dem Mädchen?
    Sieben Stunden und zwanzig Minuten (die Sekunden zählte sie nicht). Die längsten sieben Stunden ihres Lebens. Die ganze Zeit in ihrem Zimmer. Machte die Tür nicht auf, als ihre Mutter klopfte und rief. Reagierte nicht, als ihr Vater am Türknauf rüttelte und sie anflehte, herauszukommen.
    »Bitte, Jane«, sagte er mit erstickter Stimme. »Bitte komm raus. Lass uns darüber reden.«
    Sie gab keine Antwort, hockte nur da, mit gekreuzten Beinen – wie ein

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