Unheilvolle Minuten (German Edition)
dass Amos Dalton davonlief, stolpernd und strauchelnd in seiner Hast, von hier fortzukommen. Das erregte ihren Verdacht, aber doch nicht so sehr, dass sie deshalb ihren Kurs abgeändert hätte.
Außer Atem kam sie an der Tür an; schwitzte jetzt und merkte, wie ihr Körper vor Schweiß feucht wurde. »Artie«, rief sie. »Bist du da drin?«
Die Tür ging auf und Mickey Looney kam zum Vorschein. Er grinste sie an, mit einem Grinsen, wie sie es nie zuvor auf seinem Gesicht gesehen hatte: verschlagen, triumphierend, die Augen weit aufgerissen und starr.
Er hielt einen Stofffetzen in der Hand. Entweder Mickey oder der Fetzen oder das versteckte Dunkel des Schuppens strömte einen sonderbaren Geruch aus. Jane trat zurück, stolperte, wäre fast hingefallen. Mickey ging auf sie zu, kam näher, bedrohlich, bewegte sich schneller, als sie es je bei ihm gesehen hatte. Packte sie; der Fetzen in ihren Nasenlöchern, der süßliche, ekelhafte Geruch überwältigend. Sie schlug um sich, versuchte Mickeys Griff und dem widerlichen Lappen auf ihrem Gesicht zu entkommen. Es war, als rutschte sie einen langen, dunklen Schacht hinunter, und kurz bevor sie in völlige Leere entglitt, hörte sie Mickeys Stimme schadenfroh sagen: »Der Rächer schlägt wieder zu.«
Mit einem Ruck wachte sie auf, kam blitzartig zu Bewusstsein und stellte fest, dass sie mit einer Wäscheleine an einen Stuhl gefesselt war. Sie hatte einen übel riechenden Stofffetzen im Mund und ihre Lippen waren mit Klebeband versiegelt. Trotz aller Mühe konnte sie sich nicht bewegen, und sie begriff, dass sie hilflos war, die Handgelenke an den Armlehnen eines stabilen, thronartigen Stuhls festgebunden, die Knöchel an die Stuhlbeine gefesselt. Der Knebel in ihrem Mund versetzte sie in Panik, drohte sie zu ersticken oder zu erwürgen. Sie versuchte Ruhe zu bewahren, wand sich hin und her, um festzustellen, wie fest die Fesseln saßen. Das Seil schürfte ihr die Handgelenke auf, schnitt ihr an den Knöcheln ins Fleisch. Sie atmete durch die Nase und sog dabei Verwesungsgestank ein.
Die Sonnenstrahlen, die schräg durch eine Ritze im Dach fielen, warfen ein schwaches Licht in den Schuppen, in dem sie gefangen war. Der Schuppen war vollgestopft mit Schrott, verrosteten Geräten, Kisten voll alter Lappen, Zeitungen, die zu schwankenden Stapeln aufeinandergetürmt waren. Es widerstrebte ihr, sich ihre Umgebung allzu genau anzusehen. Sie hatte Angst davor, Ratten über den Boden huschen oder Spinnen die Wände hinaufkrabbeln zu sehen.
Die Tür ging auf, und die Sonne knallte ihr in die Augen. Eine dunkle Gestalt füllte den Türrahmen aus, schirmte die plötzliche Helligkeit ab. Als die Tür ins Schloss fiel, sah sie Mickey Looney durch die Sonnenflecken, die ihr vor den Augen tanzten.
Instinktiv versuchte sie zu reden, brachte aber nur seltsame, tierische Laute hervor. Ihre Bemühungen lösten einen Brechreiz aus, brachten sie zum Würgen. Aus Angst, sie könnte ersticken, verstummte sie.
Mickey watschelte auf sie zu und sie blinzelte überrascht. Es war, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Er war dick, aber nicht richtig dick. Eigentlich eher aufgebläht. Hervorquellender Bauch, hervorquellende Backen. Keine Augenbrauen, wodurch seine Augen unnatürlich groß wirkten, so als würden sie aus den Höhlen springen, wenn jemand seinen Kopf zusammenquetschte. Er war barhäuptig – und kahl. Sie hatte ihn noch nie ohne seine alte Baseballmütze gesehen. Er grinste sie an, kam näher, beugte sich vor und schaute so neugierig auf sie herab, als wäre sie ein Untersuchungsgegenstand in einem Labor oder ein merkwürdiges Tier im Zoo. Das Grinsen war nicht das altbekannte Mickey-Looney-Grinsen; es war lüstern und böse. Das war nicht der Mickey, der Rasen mähte und Vögel fütterte.
Dann verschwand das Grinsen, und er war wieder der Alte, der Mickey Looney, wie sie ihn kannte. Der Mickey, der Kindern den Kopf tätschelte und grüßend an seiner Mütze rückte.
»Alles in Ordnung mit dir, Jane?« Sein Blick musterte sie, streifte über ihren Körper. Sie versuchte, sich von ihm wegzudrehen, konnte sich aber nicht rühren.
Wieder versuchte sie zu reden. Versuchte zu sagen: Warum tust du das? Brachte aber nur gespenstische Laute hervor. Und hatte immer noch Angst zu ersticken.
Während er sie weiterhin voller Neugier musterte, sagte er: »Ich kann dir den Lappen aus dem Mund nehmen, wenn du versprichst, nicht zu schreien.«
Sie nickte heftig.
»Auch wenn du schreist, wird
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