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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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Rächer sein mochte. Ein Held aus einem Comic, der ihn in Verwirrung gestürzt hatte?
    »Oh doch, ich bin elf«, sagte er lächelnd, fügsam, war jetzt ganz kindlich. »Ich bin immer elf Jahre alt, wenn ich als Rächer unterwegs bin.«
    Bring ihn weiterhin zum Reden und denk nicht an Buddy.
    »Warum bist du elf, Mickey?«, fragte sie. Sie hätte gern die Rückstände des ekelhaften Geschmacks im Mund ausgespuckt, zwang sich aber stattdessen zum Schlucken. »Was hast du da erlebt, dass du wieder elf bist?« Das war ein Schuss ins Dunkle. Sie feuerte die Worte ab, ohne das Ziel zu kennen.
    »Vaughn Masterson«, verkündete er mit triumphierender Stimme. »Das war meine beste Zeit. Die beste Zeit meines Lebens. Weißt du, was das für ein Gefühl ist, wenn man jemanden wie Vaughn Masterson von der Erde entfernt, Jane? Ein Grobian, der zu anderen Kindern so gemein war? Es war herrlich, Jane. Aber dann hat mein Gramps Verdacht geschöpft. Er hat mir Fragen gestellt, und ich wurde wieder elf, damit ich ihn von der Erde entfernen konnte. Wurde elf wie bei Vaughn Masterson.« Er lächelte ihr zu, ein stolzes Lächeln, als hätte er ihr den Stolz seines Lebens verraten, die Summe seiner Errungenschaften. »Der arme Mickey Stallings musste heranwachsen und groß werden, und seine Mutter ist gestorben und er erinnert sich an alles, was seine Mutter ihm gesagt hat, und an die Lieder, die sie sang. Aber Mickey Stallings kann immer noch elf sein.« Er hob die Augen zur durchgesackten Holzdecke. »Elf Jahre und der Rächer.«
    Dann schaute er auf sie hinab und Mickey Stallings war verschwunden. Der altvertraute Mickey, der kaputte Wasserhähne reparierte und Tomaten pflanzte und grüßend an der Mütze rückte.
    Irgendwo aus den Speckfalten um die Taille zog er ein Messer hervor. Ein Küchenmesser, aber ein großes. Von der Art, mit der man Truthähne tranchierte. Mit einer Klinge, die selbst im Dämmerlicht dieses gottverlassenen Schuppens funkelte und blitzte.
    Halt ihn hin, befahl sie sich. Sie hatte es mit einem Verrückten zu tun und sie musste ihn hinhalten. Außerdem wusste sie, dass sie nichts zu verlieren hatte. In gewisser Weise war ihre Welt schon untergegangen. Mit dem Wissen, dass Buddy ihr Haus verwüstet hatte. Sie hegte keinen Zweifel mehr daran. Er hatte sie auserwählt und sie verwüstet. Mit seinen Küssen und Zärtlichkeiten. In aller Klarheit begriff sie jetzt, warum er ihr Zuhause und das Krankenhaus gemieden hatte. Warum er trank. Buddy, Buddy, dachte sie, und er war ein Teil des Gestanks nach Erbrochenem, der sie umgab, ein Teil von Mickey Looney und dem, was er ihr antat, was er mit ihr vorhatte. Aber halt ihn hin. Vergiss alles andere, vergiss Buddy und Karen und alles andere. Sie musste überleben, ausbrechen, entkommen.
    »Meine Mutter war der einzige Mensch, den ich je geliebt habe«, sagte Mickey. Er hielt das Messer mit beiden Händen, als wollte er es Jane als Gabe überreichen. »Meine Mutter habe ich geliebt, aber dich hatte ich gern, Jane.«
    Dass er in der Vergangenheit sprach, jagte ihr kalte Schauder über den Rücken. »Ich hatte dich auch immer gern, Mickey«, sagte sie. »Du warst zu allen freundlich und so sanft.« Ihr fiel auf, dass sie ihrerseits in der Vergangenheit sprach, und das war noch furchterregender als bei ihm.
    »Früher hab ich zugesehen, wie du dich in deinem Zimmer ausgezogen hast. Bis du dazu übergegangen bist, die Jalousien runterzulassen. Das hat mich traurig gemacht …«
    »Es tut mir leid, dass dich das traurig gemacht hat«, sagte sie, schaudernd in dem Wissen, dass er zugesehen hatte, wie sie ihre Kleider ablegte.
    Obwohl er immer noch das Messer auf den Handflächen balancierte, war er wieder sanft geworden. Seine Stimme klang normal, wie die des Mickeys, den sie kannte.
    Denk nach, trieb sie sich an. Überliste ihn.
    »Was ist mit Amos Dalton?«, fragte sie.
    »Was soll mit ihm sein?« Kniff misstrauisch die Augen zusammen.
    »Er war so ängstlich, als er mich hierherführte. Wie hast du ihn dazu gebracht, dass er das getan hat?« Bring ihn zum Reden.
    »Er mag Bücher. Ich hab ihm zehn Dollar gegeben, damit er sich Bücher kaufen kann.« Seine Miene hellte sich auf, die Augen quollen wieder hervor.
    »Ich glaube nicht, dass er jetzt unterwegs ist, um sich Bücher zu kaufen«, sagte sie. »Ich glaube, er holt die Polizei.«
    Mickey schüttelte den Kopf. »Er geht nicht zur Polizei. Ich hab ihm zehn Dollar gegeben …«
    Es überraschte sie, wie klar und scharf

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