Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
Vom Netzwerk:
lange geschlafen hatte.
    Er ging in sein Zimmer, holte den Gin aus dem Versteck im Wandschrank, betrachtete die Flasche, dankte Gott, dass Jane Jerome in sein Leben getreten war, und legte die Flasche wieder zurück. Eines Tages würde er Gott wirklich danken müssen, aber er wusste nicht so recht, wie. Dieses Ritual mit der Flasche vollführte er jeden Abend, in der Regel kurz vor dem Schlafengehen.
    Wieder unten im Erdgeschoss, gelangweilt und ruhelos, schaute er auf die Uhr. Kurz vor elf. Er stellte den Fernseher an, starrte teilnahmslos auf die Schlussszene einer dämlichen Komödie mit eingespieltem Gelächter, das nervend laut war. Er hatte irgendwo mal gelesen, dass es sich bei dem Gelächter um Aufnahmen eines Publikums längst vergangener Zeiten handelte und die meisten der lachenden Menschen inzwischen vermutlich schon tot waren.
    Er döste vor sich hin und reagierte kaum, als der Nachrichtensprecher unter den Themen des heutigen Abends die Entführung eines Mädchens aus Burnside ankündigte und den anschließenden Selbstmord des Täters. Hatte der Nachrichtensprecher wirklich Burnside gesagt? Burnside kam im Wickburg-Sender nur selten in den Abendnachrichten vor, außer wenn es um Stadtratsversammlungen und ähnlich langweiligen Kram ging.
    Gleich darauf schlug der Apparat ihn voll und ganz in Bann. »Drama in Burnside«, verkündete der Nachrichtensprecher. »Die sechzehnjährige Jane Jerome entrann nur knapp der Ermordung durch ihren Entführer, der wenige Augenblicke vor ihrer Befreiung Selbstmord beging.« Aufnahmen von einem Schuppen, Wald, einem Gewühl von Polizeibeamten.
    »Der Täter, der einundvierzigjährige Michael Stallings, fügte sich mehrere Messerstiche zu und starb, als die Polizei in den Schuppen eindrang, nach einem Hinweis von Amos Dalton, zehn Jahre alt, der die Entführung gemeldet hatte. Das Mädchen war mit Händen und Füßen an einen Stuhl im Schuppen gefesselt. Die Untersuchung im Krankenhaus von Burnside ergab, dass sie unverletzt ist.«
    Bilder jetzt von Arbor Lane, Janes Haus, anderen Häusern. In der Dämmerung aufgenommen, starr und steif im Flutlicht, fast farblos. Und dann ein kurzer Schwenk zu Jane, wie sie, von ihren Eltern und Polizeibeamten in die Mitte genommen, in geduckter Haltung die Stufen zum Haus hinaufhastete.
    »Die Familie Jerome hat sich in ruhige Abgeschiedenheit zurückgezogen, ihr Aufenthaltsort zu dieser Stunde ist unbekannt. Die Eltern des kleinen Amos Dalton gestatten dem Jungen keine Gespräche mit den Medien.« Aufnahmen von einem anderen Haus, vermutlich das Wohnhaus des Jungen.
    »Polizeichef Darrell Teague gab an, dass die Ermittlungen noch andauern.«
    Buddy betrachtete die Bilder auf dem Fernsehschirm und hörte den Stimmen zu, ohne sich zu rühren; registrierte jedoch das Hämmern seines Herzens. Er dachte: Bin ich wirklich vor ein paar Minuten aufgewacht oder träume ich noch? Um sich wach zu rütteln, schüttelte er den Kopf, und dabei verschwamm das Zimmer vor seinen Augen. Heftiger Schwindel befiel ihn, und er streckte Halt suchend die Hand aus, um nicht vom Sofa zu fallen. Aus dem Erste-Hilfe-Unterricht vor langer Zeit kam ihm eine Erinnerung. Steck den Kopf zwischen die Beine, um eine Ohnmacht zu verhindern. Aber immer noch rührte er sich nicht.
    Das Telefon klingelte.
    Wie ein Wecker, der ihn aus der Benommenheit riss.
    Die Einzelheiten vom Bildschirm wurden plötzlich zur knallharten Realität – Jane war entführt und dann befreit worden. Er griff nach dem Hörer, in der festen Gewissheit, dass sie anrief, um ihm zu sagen, es ginge ihr gut, er solle sich keine Sorgen machen, alles sei in Ordnung.
    Aber es war nicht Jane. »Ich hab gerade im Fernsehen gesehen, was mit Jane passiert ist«, sagte Addy. »Bist du okay?«
    »Klar«, sagte er. Aber war er okay? »Ich hab’s auch grade gesehen. In den Nachrichten …«
    »Du meinst, du hast nichts davon gewusst?«, fragte Addy. »Sie hat nicht angerufen? Ich meine, das ist doch alles schon Stunden her …«
    Er schüttelte den Kopf, als wollte er Addys Bemerkung abwehren, suchte nach einer Antwort. »Das sah alles so hektisch aus«, sagte er. »Der Nachrichtensprecher sagte, dass die Familie sich an einen abgeschiedenen Ort zurückgezogen hat. Sie wird schon anrufen, Addy. Wenn sie die Gelegenheit dazu hat …«
    »Natürlich ruft sie an. Die Arme … das muss ja ein wahrer Albtraum für sie sein«, sagte Addy. »Soll ich heimkommen, Buddy?«
    »Nein, nein«, sagte er. »Mir

Weitere Kostenlose Bücher