Unheilvolle Minuten (German Edition)
ertönte, fuhr er mit einem Ruck hoch und knallte mit der Brust gegen das Steuerrad. Auf der Windschutzscheibe funkelte grell die Sonne. Seine Glieder schmerzten. Himmel, er war eingeschlafen; das war nicht zu fassen. Schaute auf die Uhr – halb zwölf. Der Parkplatz hatte sich gefüllt. Er sah zu Karens Zimmer hoch. Am Vorhang hatte sich nichts verändert.
Ein plötzliches Klopfen ans Seitenfenster ließ ihn zusammenfahren; diesmal stieß er mit dem Ellbogen an den Schaltknüppel. Als er sich umwandte, sah er sich dem fleischigen Gesicht eines Polizeibeamten gegenüber, der ihm bedeutete, er solle das Fenster aufmachen. Unbeholfen tastete Buddy nach dem Zündschlüssel. Der Wagen hatte elektrische Fensterheber und die Fenster ließen sich nur bei eingeschalteter Zündung öffnen und schließen. Er drehte den Schlüssel, lauschte dem zum Leben erwachenden Motor und drückte dann auf den Knopf fürs Fenster.
»Hallo«, sagte Buddy. Er schlief immer noch halb und gab sich Mühe, munter und lebhaft zu sprechen.
»Du stehst schon eine ganze Weile da, Freundchen«, sagte der Beamte. Auf dem Schild an seiner Brust stand: Sicherheitsdienst.
»Ich warte auf jemanden.« Eine lahme Ausrede und dazu schoss ihm vor lauter Schuldbewusstsein die Röte ins Gesicht. Als wäre er ein Verbrecher, Himmel noch mal.
»Und wer mag das sein?«, fragte der Beamte mit einem scharfen Unterton in der Stimme.
»Meine Mutter«, sagte er. »Wir wollten uns hier treffen, aber ich glaube, ich hab sie verfehlt. Ich bin eingeschlafen …« Wenn man verzweifelt war, fiel das Lügen leicht.
Der Polizeibeamte nahm ihm das offensichtlich nicht ab, schien den nächsten Schachzug zu erwägen. Dann wurde sein Gesichtsausdruck sanfter. »Hör mal, Kleiner, ich weiß nicht, was das Ganze soll, aber du fährst jetzt besser weiter, okay?«
Er fuhr vom Parkplatz herunter, kutschierte eine Weile ziellos umher und machte sich dann auf den Weg zur Arbor Lane. Langsam lenkte er den Wagen die Straße entlang. Ein paar schnelle Blicke zu Janes Haus. Die Jalousien heruntergelassen, kein Anzeichen von Leben. Kein Auto in der Auffahrt. Ein leeres Haus strahlt eine einsame Botschaft aus: keiner da.
Ich fahr mal lieber nach Hause, dachte er, vielleicht versucht sie jetzt in diesem Augenblick, mich zu erreichen. Er ärgerte sich über sich selbst, weil er vor dem Krankenhaus so viel Zeit vertan hatte. Wütend jagte er den Motor hoch. Bei ihm zu Hause konnte gerade jetzt, in diesem Augenblick, das Telefon klingeln und durch die leeren Zimmer hallen.
Daheim angelangt, hüllte ihn das Haus in seine Stille ein.
Warum ruft sie nicht an?
Warum hat sie nicht angerufen?
Der Ansatz zu einer Antwort schlich sich in seine Gedanken ein, wie ein sich windender Wurm.
Er konnte sich einen Drink nicht mehr länger versagen, und er ging nach oben in sein Zimmer, wo die Flasche wartete.
Während der zwei Nächte, die Jane mit ihren Eltern im Hotel in Monument verbrachte, waren ihre Träume von Blut getränkt. Blut troff von Bäumen, plätscherte in Bächen, schoss aus Wasserhähnen, floss durch Straßen. Überall und an allem Blut. Es bildete Strudel auf dem Fußboden und quoll ihr zwischen den Zehen hervor, als sie zu ihrem Entsetzen feststellte, dass sie barfuß war. Sie konnte nicht davonrennen. Das Blut war zu einer roten, zähen Masse geworden, durch die sie hilflos watete.
Zitternd wachte sie in dem unbekannten Zimmer auf, suchte nach Zeichen ihrer Identität. Ihr Körper war klebrig von Schweiß und sie fürchtete, dass es Blut war. An der Bettkante setzte sie sich auf, tastete nach dem Schalter der Lampe und drückte darauf. Das Zimmer wurde blendend hell, das grelle Licht brannte ihr in den Augen. Kein Blut an ihrem Körper; ihr Schlafanzug war nur von Feuchtigkeit so schlaff und klamm. Im zweiten Bett neben ihrem schlief Artie, ihre Eltern im angrenzenden Zimmer, die Verbindungstür stand offen. Elend und unglücklich saß sie da, berührte mit den Füßen den Teppich. Ihr schauderte leicht und doch genoss sie diese Augenblicke allein. Seit der Abfahrt vom Schuppen, als die letzten Anzeichen von Leben aus Mickey Looney herausflossen, war sie nicht mehr allein gewesen. Wilde Hektik, Polizei, Krankenwagen, Fernsehkameras, Reporter, alles ein verrückter Wirbel. Ihr Vater wurde zu ihrem Beschützer, ihrem Retter und ihrer Stütze. Selbst die Polizei beugte sich seinen Vorschriften, als er der Befragung auf dem Polizeirevier ein Ende setzte und sie im Streifenwagen
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