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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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klammerte sie sich, obwohl ihr Tränen in die Augen traten. Zur Hölle mit ihm, zur Hölle mit ihm. Warum hatte er alles kaputt machen müssen? Aber dann ging ihr auf, dass schon alles kaputt gewesen war, bevor sie sich kennenlernten und verliebten. Oder etwa nicht? Er hatte ihre Liebe zerstört, bevor sie überhaupt angefangen hatte.
    Mit den ersten Ausläufern der Morgendämmerung kam schließlich der Schlaf, dunkel und hässlich.
    »Buddy?«
    Die Stimme, die seinen Namen sagte, klang ihm zittrig ins Ohr, und er drückte den Hörer fester daran, aus Angst, ihm könnten Nuancen und Untertöne entgehen.
    »Ja«, sagte er. Und dann überflüssigerweise: »Jane?« Denn natürlich wusste er, dass es Jane war, würde diese Stimme überall erkennen. Und ohne die Antwort abzuwarten, fragte er: »Geht’s dir gut?« Vor Erleichterung strömten ihm die Worte nur so aus dem Mund. »Jane, ich hab mir solche Sorgen gemacht. Ich wusste schon nicht mehr, was ich denken sollte.« Konnte nicht aufhören zu reden. »Wo bist du? Ich hab versucht, dich zu erreichen. Am Telefon meldet sich niemand … Ich bin schon tausendmal an deinem Haus vorbeigefahren …« Halt endlich die Klappe und lass sie etwas sagen.
    »Mir geht’s gut«, sagte sie, fast im Flüsterton, der Hauch einer Stimme. »Ich bin zu Hause. Kannst du vorbeikommen?«
    »Natürlich. Klar, jederzeit. Wann?« Hör auf zu quasseln, du Blödmann, aber sein Inneres hob zu Höhenflügen ab. Sie hatte angerufen. Die lange Qual war zu Ende. Doch in ihm ertönte ein Warnsignal. Ihre Stimme klang so gedämpft. Ja, aber sie hatte auch so viel durchgemacht. Da erzählte man keine Witze und wartete mit flotten Sprüchen auf. Er hatte tausend Fragen an sie.
    »Gleich jetzt. Kannst du gleich jetzt vorbeikommen?«, fragte sie.
    »Eh du dich’s versiehst, bin ich schon da«, sagte er, verharrte aber noch einen Augenblick am Telefon.
    »Okay«, sagte sie und legte auf. Weg. Ihre Stimme hallte als leises Echo in ihm nach.
    Sobald er ihr Gesicht sah, wusste er, dass es aus war. Dass sie über ihn Bescheid wusste und ihn nicht mehr liebte. Er sah das Wissen in ihren Augen, stumpf und verletzt, in ihren Zügen, die wie aus Stein gemeißelt waren, ein hartes, versteinertes Gesicht. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass sie ihn so ansehen könnte. Kalt und distanziert, als betrachte sie ihn aus weiter Ferne, obwohl sie vor ihm stand, nur ein kurzes Stück von ihm entfernt.
    Sie hat es erfahren, dachte er. Das von mir und dem Haus.
    »Komm rein«, sagte sie und trat zurück.
    »Was ist los?«, fragte er. »Alles in Ordnung mit dir?« Seine Worte waren hohl und bedeutungslos, pro forma dahingesagt. Es haute ihn restlos um, dass sie selbst in ihrer Kälte noch so schön war.
    »Komm rein, Buddy«, sagte sie. »Ich möchte, dass du ins Haus kommst.« Ihre Stimme, die Befehle erteilte.
    Er gehorchte und kam herein. Ihm graute davor, den Flur zu betreten, in dem ihre Schwester an der Wand gestanden hatte. Er schaute Jane unverwandt in die Augen, wollte die Kellertür nicht sehen, durch die ihre Schwester gestürzt war. Wollte nicht zur Treppe sehen, wo er eine Flasche Wodka gestohlen hatte. Und an ihr Zimmer im Obergeschoss wollte er nicht einmal denken .
    »Ich weiß, warum du nie hereinkommen wolltest«, sagte sie. »In mein Haus.«
    Buddy sagte nichts, konnte nichts sagen; sein Körper funktionierte nicht mehr.
    »Wegen der Zerstörung, die du angerichtet hast.«
    Und jetzt ging ihm auf, was ihr Wissen bedeutete. Die Erkenntnis war wie ein riesiger Schlegel, der auf einen Gong in ihm schlug, dass die Vibrationen durch seinen Körper hallten. Einen unfasslichen Augenblick lang wurde er blind, hatte einen völligen Blackout und war dann wieder da. Ihr Gesicht und ihre Augen durchbohrten ihn.
    »Ich wollte nicht …«, begann er und brach dann ab, denn er erkannte, dass er ihr nicht erklären konnte, was geschehen war oder warum es geschehen war. Das konnte er nicht erklären, nicht einmal sich selbst.
    »Du hast mein Haus verwüstet«, sagte sie. »Hast du auch mein Zimmer zerstört? Mein Bett zerfetzt? Auf den Teppich gekotzt? An die Wand gepisst?«
    Ihre Ausdrucksweise entsetzte ihn. Sie fluchte nie, verwendete keine unanständigen Ausdrücke. Mit diesem einen Wort pissen war seine Verdammnis besiegelt. Das wusste er im selben Augenblick, als sie es aussprach. In ihrem Kopf war er mit Pisse verbunden.
    »Wenn ich mir vorstelle, dass ich dich geliebt habe«, sagte sie. Und jetzt lag

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