Unheimliche Erscheinungsformen auf Omega XI
heut überhaupt noch ein Chef, wozu dient er, ist er nicht sogar überflüssig, wenn er praktisch nie Gelegenheit hat, zu zeigen, was in ihm steckt? Ich dachte schon häufig, er ist nur dazu da, eine Planstelle zu besetzen, die man aus Trägheit noch nicht abgeschafft hat.
Aber als ich mit Elektra im Hotel saß und die Algensache bearbeit e te, ging mir ein Leuchtstrahl auf, was für eine Art Chef sie eigentlich war, denn darüber hatte ich noch nicht gründlich nachgedacht. Ich ha t te die Bezeichnung Chef für Elektra immer formal aufgefaßt, und als ich mit kältebesprühten Gliedern bei den Prudenten lag, war mein En t schluß, sie soll der Reiseleiter sein, ein Ausfluß meiner Reue gewesen. Aber Reue ist auch so ein flüchtiges Gas.
Nach meinem Erfolg im Kampf gegen den Modderwind war ich schnell wieder zu der Ansicht gelangt, daß wir beide, wie schon in der Kapsel abgesprochen, gemeinsam den Chef darstellten.
Man hatte uns ja zu Ergänzungszwecken in die Kapsel gesteckt, der eine war auf diesem, der andere auf jenem Gebiet stark. Beide lehnten wir die Ermutigungspille ab. Beide mochten wir keinen Heldenrummel. Beide liebten wir uns. Aber daß Elektra nicht bloß formal, sondern tatsächlich ein Chef war, und was für einer, das war mir noch nicht aufgegangen.
Es ist immer aufschlußreich, wie sich ein Mensch in der Gefahr ve r hält, ein Kumpel, ein Freund, eine Frau, mit der man lebt, wie zum Beispiel Alberna, mit der ich beim Sturm im Teppich auf und ab gerollt war. Man findet es gewaltig, wenn einen Kumpel, Freund, Frau und so weiter in der Gefahr nicht verlassen, wenn sie nicht feige sind, und mehr hätte ich eigentlich auch von einem Chef und auch von Elektra nicht verlangt. Aber in diesem blöden Lumen-Hotel ging es mir zum erstenmal auf, daß ein Chef eigentlich etwas ganz anderes ist als einer, der die silbernen oder goldenen Knöpfe an der Raumfahrerjacke hat und die Pension kriegt und die erste Zeile in den Erfolgsberichten, daß er nicht bloß als letzter das Schiff verläßt, auch daß er mit seiner Man n schaft gemeinsam untergeht, bedeutet noch nicht, daß er ein Chef ist, untergehen kann man schließlich mit jedem. Aber nicht untergehen, dazu wird schon etwas mehr verlangt.
Bevor es mir wirklich mit voller Lichtstärke aufging, was Elektra für ein Chef war, sagte ich meinem Charakter gemäß zu ihr, nur vom Tisch aus würde ich die Aktion nicht weiterführen. Weißt du, ich habe immer gern was Greifbares in der Hand. Wir müßten mal überlegen, wann es einen Augenblick gibt, wo ich unbemerkt das Hotel verlassen und zu dieser Algenaufbewahrungsanstalt gehen kann. Wenn auch meine M e thode, die Verhältnisse der Prudenten zu erforschen, wissenschaftlich nicht ganz einwandfrei war, sie hat zum Erfolg geführt. Konkret die Probleme sehen, sie anfassen, beriechen, schmecken und alles. Das hat doch sehr viel für sich.
Gut, sagte Elektra, besieh dir das Problem. Das machst du am besten, indem du einmal durchs Hotel fährst. Nur einmal die Treppen bis zum Eingang hinunter- und wieder heraufgehst und dich dann bei mir sehen läßt. Du brauchst dir nichts überzuziehen, Merkur.
Schon auf dem Gang befiel mich wieder die merkwürdige Stimmung, in der ich nach meinem Aufenthalt bei den Prudenten in die Lume n stadt gefahren war. Ich glaubte wieder, daß dies nicht unser Hotel wäre. Die Flure kamen mir verengt vor, die Beleuchtung trüber, die Luft sti c kig, und die Paternosterkästen, in die ich sonst, ohne hinzusehen, rei n gesprungen war – irgendwie traf ich es immer –, schienen schneller zu laufen, und innen schienen sie dunkler zu sein.
Mehrere ließ ich vorbeifahren, bis ich mich traute zu springen. Ich sprang gegen einen Mann, der in der Ecke des Kastens stand und den ich im Hotel noch nicht gesehen hatte. Vielleicht war er bei unserer Hochzeit dabeigewesen, aber dann in anderer Aufmachung. Jetzt trug er eine schwarze Jacke, lange schwarze Hosen ohne Pludereffekte und ohne Schlitze und auf dem Kopf einen schwarzen Topf mit Saturnring. Ich sagte, Entschuldigung, die Dinger fahren heute so schnell.
Er antwortete nicht.
Als ich unten raussprang, ein bißchen zu früh, blieb er drin, er fuhr wohl durch den Keller, auf der anderen Seite kam er wieder nach oben, jedenfalls schien es mir so. Oder war es ein anderer? Oder überhaupt nur ein Schatten?
Ich ging ins Vestibül, da saß ein Mann an der Empfangstheke. Ich war mir fast hundertprozentig sicher, daß es der stumpfsinnige Lume war,
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