Unmoralisch
dann senkte sich der eiserne Vorhang wieder wie eine Maske vor ihre Augen.
»Es tut mir Leid, Detective. Ich weiß nichts, das Ihnen weiterhelfen könnte. Was ich den Lehrern gegenüber geäußert habe, war nur meine persönliche Meinung.«
»Und die wäre?«, fragte Stride. Nancy zuckte die Achseln. »Wie ich schon sagte: Sie werden sie nicht finden.«
7
Heather Hubble bog vom Highway 53 nach links ab und in eine unauffällige Schotterstraße ein, die sich etwa sechzehn Kilometer westlich von Duluth befand. Ihr Wagen hüpfte und ruckelte über den unebenen Boden. Neben ihr auf dem Beifahrersitz hüpfte Lissa, ihre sechsjährige Tochter, mit dem Auto um die Wette.
Es war ein später Donnerstagnachmittag. Heather wollte das schwindende Licht und die langen Schatten ausnutzen und sie in ihre Fotos von der verfallenen Scheune einbauen, die ein paar Kilometer südlich von hier lag. Sie hatte bewusst gewartet, bis die Herbstfarben ringsum ihren Zenith schon deutlich überschritten hatten. Die leuchtend roten Blätter waren inzwischen rostfarben, die gelben verblasst und grünlich. Viele waren auch bereits abgefallen und bedeckten das Feld rings um die Scheune. Es war perfekt. Auch die Scheune selbst befand sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfalls. So würden sich die Symbole in ihren Fotos gegenseitig verstärken.
»Die Straße gefällt mir, Mami.« Lissa sprang auf ihrem Sitz auf und ab. »Die ist so schön hüpfig.« Sie drückte die Nase ans Fenster und schaute hinaus zu den Bäumen. Von oben regnete es ununterbrochen trockenes Laub. »Sind wir bald da?«
»Jetzt ist es nicht mehr weit«, sagte Heather.
Sie bogen um eine Kurve, und auf einem Feld zur Linken ragte die Scheune auf. Heather fand sie wunderschön und romantisch, obwohl sie in Wirklichkeit nur noch eine Ruine war, die schon lange nicht mehr benutzt wurde. Sie zweifelte daran, dass die Scheune den Winter überstehen würde, aber das dachte sie schon seit Jahren. Wahrscheinlich würde das Gewicht des Schnees in diesem Jahr das verbliebene Dach ganz eindrücken, das bereits an mehreren Stellen eingestürzt war und gähnende Löcher aufwies. Die Scheune war früher rot gestrichen gewesen, aber die Farbe war verblasst und größtenteils abgeblättert. Junge Leute hatten die Fenster mit Steinen eingeworfen. Das ganze Gebäude schien sich nach innen zu neigen, die Wände wirkten schief und baufällig. Wenn sie im Februar noch einmal herkämen, wäre die Scheune sicher nur noch ein schneebedeckter Haufen zersplitterter Holzbalken.
Heather bog in die grasbewachsene, mit Unkraut überwucherte Zufahrt ein, die natürlich eigentlich gar keine Zufahrt war, sondern ein Pfad, den die vielen Besucher im Lauf der Jahre geschlagen hatten. Sie parkte und stieg aus dem Wagen, und auch Lissa kletterte heraus.
»Ich glaube, hier war ich noch nie. Stimmt’s, Mami?«, fragte sie.
»Nein, ich glaube nicht. Du warst wahrscheinlich immer in der Schule, wenn ich hergekommen bin.«
»Das Haus ist nicht besonders gut erhalten, oder?«
Heather musste lachen. »Nein, wirklich nicht.«
»Darf ich ein bisschen rumgucken?«
»Klar. Aber geh nicht in die Scheune. Das ist gefährlich.«
»Sieht aus, als würde es da spuken«, sagte Lissa. »Glaubst du das auch?«
»Das kann schon sein«, erwiderte Heather.
»Woher kennst du das hier?«, fragte Lissa.
Heather lächelte. »Ich war als junges Mädchen häufig hier. Wie die meisten anderen auch.«
»Und was habt ihr dann gemacht?«, wollte Lissa wissen.
»Wir waren einfach auf Entdeckungsreise. Genau wie du.« Den wahren Grund brauchte sie ihr nicht zu sagen. Damals war sie, wie viele andere Teenager aus Duluth, hierher gekommen, um Sex zu haben. In der ganzen Gegend gab es keinen besseren Ort dafür. Irgendwann war es so schlimm geworden, dass in der Schule ein geheimer Zeitplan kursierte, damit man sicher sein konnte, dass nicht zu viele Wagen zur selben Zeit hinter der Scheune parkten. Heather hatte ihr erstes sexuelles Erlebnis hier gehabt, auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks, unter dem Sternenhimmel. Sie fragte sich, ob die Schüler heute immer noch zur Scheune fuhren. Sie sah viele, sich überschneidende Reifenspuren, die hinter die Ruine führten, außerdem leere Bierflaschen auf dem Feld. Und wenn sie sich ein bisschen genauer umsah, würde sie sicher auch benutzte Kondome finden.
Heather schaute ihre Tochter wieder an. »Heb nichts vom Boden auf, okay?«
Lissa runzelte die Stirn. »Aber dann
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