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Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Freeman
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verstehen. Und sie mochte sowieso keinen Schmuck.
    Lissa bückte sich rasch, hob das Armband auf und stopfte es tief in ihre Manteltasche. »Ich komme«, rief sie und lief um die Scheune herum.
     

Zweiter Teil
     

1
    Bird Finch ging im dunkleren Teil des Studios auf und ab und stieg mit seinen stelzenlangen Beinen über die Kabel, die sich über den Boden schlängelten. Niemand sprach ihn an. Seine Mitarbeiter wussten aus langjähriger Erfahrung, dass Bird in den letzten Minuten vor einer Livesendung kein Wort mehr sagte. Er war viel zu aufgedreht. Seine Gefühle waren in Aufruhr. Er heizte sich selbst an.
    Heute Abend würden die Einschaltquoten wieder einmal alle Rekorde brechen.
    Nachdem er sie die ganzen drei Wochen seit Rachels Verschwinden bekniet hatte, hatte Bird Graeme und Emily Stoner endlich für ein Live-Interview gewinnen können. Sie waren bereit, zum ersten Mal über den Verlust ihrer Tochter zu sprechen. Und sie würden nicht allein sein. Ein anderes trauerndes Elternpaar würde ihnen Gesellschaft leisten: Mike und Barbara McGrath, die seit über einem Jahr vergeblich nach ihrer Tochter Kerry suchten. Die beiden Paare würden neben Bird sitzen, ihren Gefühlen freien Lauf lassen und der Polizei eine Botschaft übermitteln: Am nördlichen Seeufer geht ein Killer um und raubt junge Mädchen von der Straße. Schnappt ihn!
    Bird blieb stehen und verschränkte die Arme. Vor der hell erleuchteten Kulisse saßen Graeme und Emily Stoner in bequemen Sesseln. Zwei Maskenbildnerinnen umschwirrten sie und zupften und tupften an ihnen herum. Er beobachtete, wie die McGraths auf die Stoners zukamen und die beiden Paare einander verlegen begrüßten.
    »Zwei Minuten«, verkündete eine Stimme aus einem Lautsprecher über ihm.
    Bird trat aus der Dunkelheit des Studios hervor und überquerte mit dem geschmeidigen Schritt einer Raubkatze die Bühne. Wie ein schwarzer Turm ragte er vor seinen Gästen auf, die aus ihren Sesseln zu ihm empor sahen. Er lächelte sie an und ließ dabei seine schneeweißen Zähne in seinem dunklen Gesicht aufblitzen. Dann bedachte er jeden mit einem kräftigen Händedruck. »Ich möchte Ihnen allen dafür danken, dass Sie heute Abend bei mir sind«, sagte er mit der ernsten, tiefen Stimme, die er Verbrechensopfern vorbehielt. »Ich kann nur vermuten, wie schwer das jedem von Ihnen fällt. Aber es ist äußerst wichtig, dass die Menschen in unserem Staat von Ihrer Geschichte erfahren. Und wenn Gott es will, dringen Ihre Stimmen vielleicht auch zu Ihren Töchtern durch oder zu denen, die sie Ihnen weggenommen haben.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr Finch«, sagte Barbara McGrath.
    »Mr und Mrs Stoner«, fuhr Bird fort. »Ich werde alles Menschenmögliche tun, damit Sie sich wohl fühlen. Denken Sie einfach nicht an die Kameras. Reden Sie nur mit mir. Erzählen Sie mir Ihre Geschichte.«
    Er zwängte seinen langen Körper in den gewohnten Sessel, fuhr sich mit einer Hand über den kahl rasierten Schädel und schaute an sich herunter, um sicherzugehen, dass Taschen, Einstecktuch und Manschetten am richtigen Platz waren. Dann räusperte er sich und drapierte den angewinkelten linken Arm auf der Lehne seines Sessels.
    Er lächelte seine Gäste noch einmal aufmunternd an. Dann leuchtete das rote Licht auf.
    »Guten Abend, meine Damen und Herren«, sagte Bird. »Ich bin Jay Finch und begrüße Sie heute zu einem außergewöhnlichen Interview mit zwei Ehepaaren aus Duluth, Minnesota. Diese vier Menschen sind einander heute Abend zum ersten Mal begegnet, doch mit jedem neuen Tag, der vergeht, bringt das Schicksal sie näher zusammen.«
    Die Kamera fuhr zurück und gab den Blick auf Mr und Mrs Stoner und Mr und Mrs McGrath frei, die Bird auf der Bühne schräg gegenüber saßen.
    »Vor fünfzehn Monaten verschwand Kerry Mc-Grath, die Tochter von Mike und Barbara McGrath, auf offener Straße in Duluth. Genau heute vor drei Wochen hat dasselbe grausame Schicksal Rachel Deese ereilt, die Tochter von Emily Stoner und die Stieftochter ihres Mannes, Graeme. Zwei junge Mädchen, die auf dieselbe Schule gingen und nur ein paar Kilometer voneinander entfernt wohnten. Beide werden vermisst. Wir alle beten dafür, dass ihnen nichts zugestoßen ist, und wir alle fürchten um ihr Leben.«
    Birds Stimme wurde kälter. »Bei der Polizei will man nicht zugeben, dass zwischen den beiden Verbrechen ein Zusammenhang besteht. Man sagt nur, die Ermittlungen in beiden Fällen würden noch andauern, und

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