Unnatural History
Cumberlandwürstchen, Black Pudding, gegrillten Tomaten, gedünsteten Pilzen und Hash Browns bestürmte Ulysses’ Nasenlöcher.
»Ich dachte mir, Sie könnten nach Ihrer langen Reise etwas hungrig sein.«
Ulysses griff beherzt zu und scheute sich nicht, jegliche Manieren außer Acht zu lassen, als er mit dem Mund voll Wurst murmelte: »Richte Mrs. Prufrock doch bitte meine Komplimente aus, für das sicherlich beste Frühstück, das ich je gegessen habe.«
»Mit Vergnügen, Sir.«
Ulysses fühlte eine wohlige Wärme in sich aufsteigen und wusste, dass es nicht nur an der heißen Hausmannskost lag, die er sich gerade in den Bauch schlug. Dieses Gefühl, zu Hause zu sein, umgeben von Menschen, denen man etwas bedeutete und auf die man zählen konnte. Plötzlich war das alles wieder sehr vertraut, er fand das tröstlich. »Es ist gut, wieder daheim zu sein, Nimrod.«
»Und wenn ich das anmerken dürfte, Sir: Es ist gut, Sie wieder zurück zu haben. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden?« Nimrod verließ den Raum und zog die Tür sorgfältig hinter sich ins Schloss.
Ulysses entfaltete die Times auf der Tagesdecke und ließ sich sein Frühstück weiter schmecken. Es war Zeit, sich auf den neuesten Stand über die Geschehnisse in der sogenannten zivilisierten Welt zu bringen. Die Ausgaben der Times, die er im Orient Express hatte ergattern können, waren bedauerlicherweise völlig veraltet gewesen.
Die Schlagzeile dieser Ausgabe hingegen, datiert auf den 16. April 1997 (das Papier war noch immer warm von dem Bügeleisen, mit dem Nimrod die Seiten geglättet hatte), war äußerst aktuell. Da stand ›Buckingham Palace bestätigt Jubiläumsfeierlichkeiten‹, wobei es sich offensichtlich um das 160. Thronjubiläum von Königin Victoria handelte. Der Anlass sollte außerdem noch der Enthüllung einer kolossalen Statue der Britannia im Hyde Park dienen, direkt vor Paxtons grandioser Konstruktion des zweiten Crystal Palace. Das alles sollte am 23. Juni stattfinden, in weniger als zwei Monaten. All die Politiker, Speichellecker, feinen Pinkel und Blaublütigen würden es wieder einmal als die glorreichste Zeit in der Geschichte des Britischen Empires bezeichnen.
Tatsächlich waren es unglaubliche eineinhalb Jahrhunderte gewesen, in welchen die Visionäre jener Zeit von den Anfängen des Industriezeitalters und der einfallsreichen Nutzung der Dampfleistung aufgestiegen waren, um sich die Welt gefügig zu machen und sogar die Sterne zu bezwingen. Raumfahrt, eine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit, war einst reine Science-Fiction gewesen, heraufbeschworen von Autoren wie H.G. Wells und Jules Verne. Mit der Beherrschung des interplanetarischen Reisens, der Inbetriebnahme der kapitalen Raumfahrtstation in Gatwick-Süd, der Einführung jeglicher Klassen von Staatsbürgern in die Reichskolonien Ihrer Majestät auf dem Mond und den umliegenden Planeten, munkelte man nun in gewissen geheimniskrämerischen Zirkeln über das Vorhaben, die einzig bestehende Grenze zu brechen, die der Menschheit nun noch blieb – die Zeitreise. Was einst absonderlich klang, gehörte nun zum Alltag, das Unmögliche schlicht zum neuen Durchbruch von Morgen. Es gab beispiellose Fortschritte in der Medizinwissenschaft, den Differenzmaschinen und dem neueren Feld der Kybernetik.
Das Imperium von Magna Britannia – seinerzeit als Großbritannien bekannt – wäre nicht das, was es war, ohne die Fortschritte in diesen Bereichen. Ohne sie wäre die Witwe von Windsor nicht dort, wo sie nun war und die Nation nicht feldführend in einer Menge von Projekten, welche auf der Uhrwerk-Kybernetik beruhten, seit Charles Babbage der bahnbrechende Erfolg gelungen war, einen ersten vollautomatischen Rechenapparat zu konstruieren. Doch während die Welt sich weiterdrehte und die technischen Entwicklungen förmlich explodierten, verschlechterten sich die Lebensumstände der Menschen im Empire auf beschämende Art und Weise.
Zu dieser Zeit waren Londons Slums düsterer, verschmutzter und überfüllter, als es sich sogar der große Visionär Charles Dickens je in einer seiner verzweifelten Stunden hätte vorstellen können. In diesen dunkelsten Zeiten des Empires waren die Straßen überfüllt mit den Ärmsten der Armen, die ihrem Schicksal im Gin-Rausch harrten. Viele von ihnen verdingten sich als Sklaven der Maschinen einen kärglichen Unterhalt; gezwungen, unermüdlich in den riesigen gotischen Fabrikhallen zu arbeiten. Doch immer öfter waren sie den
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