Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
als eine Konzentration aller Kräfte einer Gemeinschaft in einer bestimmten Organisation, die kraft dieser Konzentration in der Lage ist, den einzelnen Staatsbürger zu regieren und dem Druck auswärtiger Staaten zu widerstehen. Der Krieg hat von jeher die Regierungsgewalt am meisten gefördert. Die Überwachung des Einzelnen durch den Staat ist in Zeiten des Krieges oder drohender Kriegsgefahr immer schärfer, als wenn man den Frieden für gesichert hält. Wo aber Regierungen ihre Macht zum eventuellen Widerstand gegen Angriffe von außen erwarben, da bedienten sie sich ihrer natürlich, wenn sie konnten, zur Förderung ihrer eigenen Interessen auf Kosten des Staatsbürgers. Bis vor kurzem war die absolute Monarchie die krasseste Form dieses Missbrauchs der Macht. Aber im totalitären Staat von heute hat man ihn viel weiter getrieben, als Xerxes, Nero oder irgendein Tyrann früherer Zeiten sich hätte träumen lassen.
Die Demokratie wurde als Mittelweg zwischen Regierungsgewalt und persönlicher Freiheit erdacht. Es ist klar, dass eine Regierungsgewalt nötig ist, wenn irgendetwas bestehen soll, das den Namen Zivilisation verdient; aber die Universalgeschichte zeigt, dass jede Menschengruppe, der Macht über eine andere verliehen wird, diese Macht missbraucht, wenn sie es straflos tun kann. Als die Männer des zweiten Triumvirats in Rom Geld zum Kampf gegen Brutus und Cassius brauchten, stellten sie Listen der Reichen auf, erklärten sie zu Staatsfeinden, schnitten ihnen die Köpfe ab und zogen ihr Vermögen ein. Ein solches Vorgehen ist heute in Amerika und England nicht möglich. Dass es unmöglich ist, verdanken wir nicht nur der Demokratie, sondern auch der Lehre von der persönlichen Freiheit. Diese besteht praktisch aus zwei Teilen: einmal darin, dass niemand bestraft werden darf, außer im Zuge eines gesetzlichen Verfahrens, und zum anderen darin, dass es einen Bereich geben muss, innerhalb dessen die Handlungsweise eines Menschen der Kontrolle durch die Regierung nicht unterliegt. Hierher gehören Rede-, Presse-und Religionsfreiheit; früher gehörte auch die Freiheit der Wirtschaft dazu. Alle diese Lehren unterliegen natürlich in der Praxis gewissen Einschränkungen. Die Briten missachteten sie früher in Angelegenheiten Indiens. Die Pressefreiheit gilt nicht für Lehren, die man für gefährlich und umstürzlerisch hält. Auf die Redefreiheit könnte sich nicht berufen, wer öffentlich zur Ermordung eines unbeliebten Politikers auffordert. Aber ungeachtet dieser Einschränkungen hat sich die Lehre von der persönlichen Freiheit in der ganzen englischsprechenden Welt als sehr wertvoll erwiesen, wie jeder ihrer Angehörigen rasch erkennen wird, wenn er sich in einem Polizeistaat befindet.
In der Geschichte der sozialen Entwicklung wird man finden, dass fast stets die Errichtung irgendeiner Regierungsgewalt der erste Schritt war und Versuche, Regierungsgewalt mit persönlicher Freiheit zu vereinbaren, erst später folgten. In der Weltpolitik haben wir noch nicht einmal den ersten Schritt getan, obwohl heute klar ist, dass eine Weltregierung für die Menschheit mindestens ebenso wichtig ist wie eine Nationalregierung. Es lässt sich meines Erachtens ernsthaft bezweifeln, ob die nächsten zwanzig Jahre der Menschheit eine größere Katastrophe bringen würden, wenn jede Regierungsgewalt überhaupt abgeschafft würde, als sie sie bringen werden, wenn keine arbeitsfähige Weltregierung errichtet wird. Ich finde oft die Meinung vertreten, eine Weltregierung würde einen Druck auf die Regierten ausüben; ich leugne nicht, dass das der Fall sein könnte, wenigstens auf einige Zeit; aber Nationalregierungen waren schon Tyrannen, als sie neu waren, und sie sind es heute noch in den meisten Ländern; dennoch würde wohl kaum jemand aus diesem Grund die Anarchie innerhalb einer Nation befürworten.
Ein geordnetes soziales Leben beruht, soll es auch nur irgendwie wünschenswert erscheinen, auf der Synthese und dem Ausgleich bestimmter allmählich entwickelter Ideen und Einrichtungen: Regierung, Recht, persönliche Freiheit und Demokratie. Persönliche Freiheit gab es natürlich schon, bevor es noch Regierungen gab; wo sie aber ohne Regierung herrschte, war ein zivilisiertes Leben unmöglich. Als zuerst Regierungen geschaffen wurden, brachten sie Sklaverei, absolute Monarchie und in der Regel einen von einer machtvollen Priesterkaste aufgezwungenen Aberglauben mit sich.
Das waren alles sehr schlimme Missstände, und
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