Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
nicht solid, und früher oder später werden die oben ihren Fehler einsehen.« Das werden alle Mittelmäßigen sagen, wenn es einem wirklich Fähigen vergönnt ist, nach Verdienst hochzukommen, und deshalb neigt man zu einer Rangordnung nach Dienstjahren, die mit dem wirklichen Verdienst nichts zu tun hat und daher diese neidische Unzufriedenheit nicht aufkommen lässt.
Eins der schlimmsten Ergebnisse unserer neidischen Veranlagung ist eine vollkommen verzerrte Auffassung vom wirtschaftlichen Selbstinteresse des Einzelnen wie des Staates. Ich möchte dies an Hand eines Gleichnisses zeigen. Es war einmal eine mittlere Stadt, in der es eine Anzahl Fleischer, Bäcker usw. gab. Ein Fleischer, der außergewöhnlich geschäftstüchtig war, entdeckte, dass er viel mehr Gewinn haben würde, wenn alle übrigen Fleischer Bankrott machten und er ein Monopol bekäme. Dies gelang ihm auch, indem er sie systematisch unterbot, obwohl bis dahin seine Verluste seine Kapital-und Kreditreserven beinahe aufgezehrt hatten. Gleichzeitig war ein geschäftstüchtiger Bäcker auf dieselbe Idee verfallen und hatte sie zu einem ähnlich erfolgreichen Abschluss geführt. In jedem Geschäftszweig, der vom Warenverkauf an Kunden lebte, hatte sich dasselbe ereignet. Jeder der erfolgreichen Monopolisten freute sich nun darauf, ein Vermögen zu machen, aber leider waren die ruinierten Fleischer nicht mehr in der Lage, Brot zu kaufen, und ebenso erging es den ruinierten Bäckern mit dem Fleisch. Ihre Angestellten hatten sie entlassen müssen; die waren anderswohin gezogen. Die Folge war, dass zwar der Fleischer und der Bäcker jeder ein Monopol hatten, aber weniger verkauften als früher. Sie hatten vergessen, dass ein Geschäftsmann durch die Konkurrenz zwar Schaden erleiden, ihn aber durch seinen Kundenstock wieder gutmachen kann, und dass der Kundenstock größer wird, wenn der allgemeine Wohlstand zunimmt. Der Neid hatte sie veranlasst, ihre ganze Aufmerksamkeit der Konkurrenz zuzuwenden und ihr eigenes Gedeihen, das von den Kunden abhing, zu vernachlässigen.
Dies ist eine Fabel, und die Stadt, von der ich sprach, hat es nie gegeben. Man setze aber für die Stadt die Welt ein, und für Einzelmenschen ganze Völker, und man hat ein vollkommenes Bild der Wirtschaftspolitik, die heute auf der ganzen Welt verfolgt wird.
Jedes Volk ist überzeugt, dass seine Wirtschaftsinteressen denen jedes anderen Volkes entgegengesetzt sind, und dass es profitieren muss, wenn man andere Völker in Armut und Not treibt. Im ersten Weltkrieg hörte ich oft von Engländern, wie ungeheuer der britische Handel von der Zerstörung des deutschen Handels profitieren würde; das sollte eine der schönsten Früchte unseres Sieges sein. Nach dem Krieg hätten wir zwar gerne einen Absatzmarkt auf dem europäischen Festland gehabt, und die westeuropäische Industrie hing von der Ruhrkohle ab; wir brachten es aber nicht über uns, der Ruhrkohlenindustrie mehr als einen verschwindenden Prozentsatz ihrer Vorkriegsproduktion zu gestatten. Die ganze Philosophie des wirtschaftlichen Nationalismus, die heute in aller Welt herrscht, beruht auf dem Irrglauben, dass die Wirtschaftsinteressen eines Volkes denen eines anderen Volkes notwendigerweise entgegengesetzt seien. Dieser Irrglaube erzeugt Völkerhass und Rivalität und ist daher ein Kriegsgrund, der die Tendenz hat, sich selbst zu bestätigen, denn wenn einmal Krieg ausgebrochen ist, wird der Widerstreit der nationalen Interessen nur zu wahr. Versucht man jemand, sagen wir in der Stahlindustrie, klarzumachen, dass der Wohlstand anderer Länder ihm möglicherweise Vorteile bringt, so wird er einem unmöglich folgen können, weil die einzigen Ausländer, die er kennt, seine Konkurrenten in der Stahlindustrie sind. Alle anderen Ausländer sind ihm vage Gestalten, an denen er keinerlei gemütsmäßigen Anteil nimmt. Dies ist die psychologische Wurzel des wirtschaftlichen Nationalismus; des Krieges, der vom Menschen selbstverschuldeten Hungersnot und aller anderen Übelstände, die unserer Zivilisation ein schreckliches und schmähliches Ende bereiten werden, wenn wir uns nicht dazu bekehren lassen, unsere gegenseitigen Beziehungen großzügiger und weniger hysterisch zu betrachten.
Eine andere Leidenschaft, die politisch schädlichen Irrglauben erzeugt, ist der Stolz – der Stolz auf Volkszugehörigkeit, Rasse, Geschlecht, Klasse oder Glaubensbekenntnis. In meiner Jugend galt Frankreich noch als der Erbfeind Englands, und ich
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