Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
lernte als eine unbestreitbare Wahrheit, dass ein Engländer drei Franzosen schlagen könne. Als Deutschland zum Feind wurde, mäßigte sich diese Anschauung und die Engländer hörten auf, sich über die Vorliebe der Franzosen für Froschschenkel lustig zu machen. Aber trotz der Bemühungen der Regierung brachten es, glaube ich, nur wenige Engländer über sich, die Franzosen wirklich als ebenbürtig zu betrachten.
Wenn Amerikaner und Engländer den Balkan kennenlernen, verfolgen sie mit Staunen und Verachtung den gegenseitigen Hass der Bulgaren und Serben, oder der Ungarn und Rumänen.
Für sie liegt es auf der Hand, dass diese Feindschaften absurd sind und der Glaube jedes dieser kleinen Völker an seine eigene Überlegenheit objektiv grundlos ist. Aber die meisten von ihnen können einfach nicht einsehen, dass der Nationalstolz einer Großmacht seinem Wesen nach ebenso wenig zu rechtfertigen ist wie der eines kleinen Balkanstaates.
Rassenstolz ist noch schädlicher als Nationalstolz. Als ich in China war, fiel mir auf, dass die gebildeten Chinesen vielleicht noch zivilisierter waren als alle anderen Menschen, die ich das Glück hatte zu treffen. Dennoch fand ich eine ganze Reihe grober und unwissender Weißer, die selbst die besten Chinesen lediglich wegen ihrer gelben Hautfarbe verachteten. Im Allgemeinen traf dies auf die Briten mehr als auf die Amerikaner zu; doch gab es auch Ausnahmen. Ich befand mich einmal in Begleitung eines chinesischen Gelehrten, eines Mannes von ungeheurem Wissen nicht nur der überlieferten chinesischen Art, sondern auch der, die an westlichen Universitäten gelehrt wird, eines Mannes von so umfassender Bildung, wie ich sie kaum zu erreichen hoffen durfte. Er und ich betraten zusammen eine Garage, um ein Auto zu mieten. Der Garagenbesitzer war ein Amerikaner übler Sorte, der meinen chinesischen Freund wie seinen Schuhputzer behandelte und ihn verächtlich als Japaner bezeichnete; mein Blut kochte über seine Dummheit und Bosheit. Die ähnliche Haltung der Engländer in Indien, die durch ihre politische Macht noch verschärft wurde, war eine der Hauptursachen der Reibungen zwischen, Briten und gebildeten Indern. Wo man an die Überlegenheit einer Rasse über eine andere glaubt, tut man es kaum jemals mit gutem Grund; wo sich ein solcher Glaube hält, wird er durch militärische Überlegenheit gestützt. Solang die Japaner siegreich waren, verachteten sie den Weißen genau so, wie der Weiße sie verachtet hatte, solange sie noch schwach waren. Manchmal jedoch hat das Gefühl der Überlegenheit mit militärischer Tapferkeit nichts zu tun. Die Griechen sahen auf die Barbaren herab, auch zu Zeiten, wo die Barbaren sie an Kriegsstärke übertrafen. Die aufgeklärteren Griechen waren der Meinung, Sklaverei ließe sich da rechtfertigen, wo die Griechen die Herren, die Barbaren die Sklaven waren; sonst sei sie unnatürlich. Die Juden nährten im Altertum einen ganz besonderen Glauben an ihre eigene rassische Überlegenheit; seit das Christentum Staatsreligion wurde, huldigen die Nichtjuden einer ebenso irrationalen Überzeugung ihrer Überlegenheit über die Juden. Überzeugungen dieser Art stiften unermesslichen Schaden; es sollte ein Ziel der Erziehung und Bildung sein – ist es leider nicht – sie auszumerzen. Eben sprach ich von der anmaßenden Haltung, die sich die Engländer im Umgang mit Indern leisteten und die im Lande natürlich böses Blut machte; aber das indische Kastensystem war selbst das Ergebnis aufeinanderfolgender Einfälle »überlegener« Rassen aus dem Norden, und ist ganz ebenso verwerflich wie die Anmaßung der Weißen.
Der Glaube an die Überlegenheit des männlichen Geschlechts, der heute bei den westlichen Völkern offiziell ausgestorben ist, ist ein seltsames Beispiel für die Sünde des Stolzes. Es hat, glaube ich, nie einen Grund gegeben, an irgendeine angeborene Überlegenheit des männlichen Wesens zu glauben, außer seinen stärkeren Muskeln. Ich besichtigte einmal eine Anzahl Zuchtbullen; was solch einen Bullen zu einem Prachtexemplar machte, war nichts anderes als die Vorzüge seiner Ahninnen als Milchkühe. Hätten aber die Bullen selbst die Stammbäume entworfen, so wären sie ganz anders ausgefallen. Von den weiblichen Vorfahren hätte es da nur geheißen, dass sie gelehrig und tugendhaft waren, während die männlichen Vorfahren für ihre Heldentaten im Kampf Lob eingeheimst hätten. Was nun die Rinder betrifft, so können wir die jeweiligen
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