Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
Vom Netzwerk:
wunderschönen guten Morgen!« begrüßte. Erstaunt blickte Paula sie an. Sandras übertriebener Morgengruß machte ihr beinahe Angst. Ihre Schwester schien langsam den Verstand zu verlieren.
    Sandra goss kochendes Wasser über ihren grünen Tee, holte Sonnenblumenbrot aus dem Brotkasten, schnitt zwei Scheiben davon ab und bestrich sie dick mit Honig.
    Sie legte beide Scheiben auf Paulas Teller. »Du musst unbedingt etwas essen«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
    »Keinen Hunger«, brummte Paula.
    »Du musst jetzt bei Kräften bleiben«, sagte Sandra. »Und vor allem musst du deine Leute besser einsetzen: Ich habe eine heiße Spur!«
    Paula runzelte die Stirn.
    »Der Vater von Luca ist Italiener. Es ist doch bekannt, dass die Mafia Kinder entführt, um die Eltern zu erpressen. Und die italienischen Restaurants in Deutschland – werden sie nicht alle von der Mafia kontrolliert?«
    Paula räusperte sich: »Lucas Vater ist längst überprüft worden. Er und seine Familie haben nichts mit Manuels Verschwinden zu tun.«
    »Wenn Manuel alleine irgendwohin gehen würde, dann doch zu dem Restaurant. Er war mit Luca und seinem Vater verabredet. Das sind die einzigen Menschen, die er in Berlin kennengelernt hat. Nur mit ihnen würde er gehen«, beharrte Sandra. »Und es ist doch immer ein Nachbar oder ein Bekannter. Jemand, den das Opfer kennt.«
    »Sandra, ich kann dir nur versichern …«, versuchte Paula es erneut.
    »Warum sollte Enrico dir sagen, dass Manuel vor dir da war, aber dass die Mafia ihn gezwungen hat, ihn zu verstecken? Du musst das selbst überprüfen! Wieso delegierst du so eine wichtige Sache? Ihr müsst das Haus umstellen und alles durchsuchen!« Sandras Stimmung war plötzlich gekippt, sie war aufgebracht und den Tränen nahe. »Du weißt doch, dass man verschwundene Kinder meistens ganz in der Nähe ihres Zuhauses findet. Selbst wenn sie tot sind.«
    Paula lenkte ein, um ihre Schwester zu beruhigen: »Gut, ich werde dieser Idee noch mal selbst nachgehen. Hältst du noch durch, Sandra? Ist so weit alles in Ordnung mit dir?«
    »Nichts ist in Ordnung! Bitte, bitte bestell noch einmal deine Leute und auch die Hundestaffel! Die Parks in der Gegend und der Tiergarten müssen wieder durchkämmt werden. Bestimmt ist Manuel dort irgendwo versteckt. Ich fühle es.«
    Paula wusste, wie sinnlos das sein würde, aber das würde sie ihrer Schwester nicht sagen. »Gut, dann fahre ich jetzt mal ins Büro.«
    Sandra ließ sie nicht aufstehen, sondern drückte sie wieder zurück auf den Stuhl. »Erst isst du die Brote. Du musst etwas im Magen haben.«
    Paula hatte ihre Schwester so noch nicht erlebt. Sie war gewöhnt, dass sie selbst die große verantwortungsbewusste Tatkräftige und Sandra eher die kleine Hilflose war. Sie war so überrascht von der Nachdrücklichkeit in Sandras Ton, dass sie nun doch in das Honigbrot biss. »Gut, dass du isst. Setz auch die Helikopter noch mal über dem Grunewald ein. Es war ein Fehler, den auszulassen.«
    »Ja, kann ich machen.« Sie würde Sandra nicht vermitteln können, dass eine Wiederholung der polizeilichen Aktionen überhaupt nichts brachte und sie deshalb natürlich auch nicht durchführen. Aber es war wichtig, ihr nicht das Gefühl zu geben, die Polizei würde nur abwarten.
    Als Paula sich den klebrigen Honig von den Händen gewaschen hatte, schnappte sie ihre Lederjacke und ging auf Sandra zu, um sie wie sonst zum Abschied zu umarmen. Aber Sandra stieß sie erschrocken zurück.
    »Mein Gott, wenn selbst ich dich jetzt schon erschrecke, wozu bin ich dann überhaupt da?«, sagte sie hilflos.
    »Du bist dazu da, mir Manuel wiederzubringen, wenn du schon nicht auf ihn aufpassen kannst«, sagte Sandra schroff und wandte sich von ihr ab.
    Im Dezernat nannten sie den Moment die »Wand« oder auch die »Sackgasse«. Das war der Tag, an dem die Ermittlungen an dem berühmten toten Punkt angelangt waren, an dem nichts mehr weiterging. Und es war immer eine Katastrophe. Im Büro machte sich prompt die dazugehörige Stimmung breit. Paula brütete allein an ihrem Schreibtisch und zermarterte sich das Gehirn nach einem einzigen kleinen Hinweis, wie man weiterkommen könnte. Sie hatten an die zweihundert Personenbefragungen durchgeführt, waren über siebenhundertachtzig Hinweisen aus der Bevölkerung gefolgt und hatten fast vierhundert Facebook-Freunde der Opfer gecheckt. Sämtliche Mitarbeiter von Lea Buckow der letzten Jahre waren unter die Lupe genommen worden,

Weitere Kostenlose Bücher