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Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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auf.«
    »Welche Chancen haben wir überhaupt noch, ihn zu finden?«, fragte Tommi geradeheraus.
    »Ich denke, die enorme Medienpräsenz ist so eine Chance. Es war riskant für ihn, öffentliche Tatorte zu wählen, wie beispielsweise die beiden Restaurants. Für solch ein gesteigertes Risiko muss er einen guten Grund gehabt haben. In diesen Fällen liegt eine Provokation der Öffentlichkeit zugrunde. Er ist einsam, versponnen, hat keine Freunde, keine Anerkennung.«
    Paula ahnte bereits, was als Nächstes kommen würde.
    Der Professor fuhr fort: »Er wird von einer ganzen Gesellschaft nicht wahrgenommen, die sich eitel selbst beachtet und spiegelt, die einen Auftritt im Fernsehen wichtiger findet als Ruhe und Familienglück. Diese Gesellschaft nimmt nicht die geringste Notiz von ihm. Das hat er jetzt geändert. Jetzt ist er die zerstörerische Hornisse, die dem Elefanten im Auge sitzt und ihn sticht, dass er aufheult.«
    »Gut, und was folgt daraus?«
    Bleibtreu lächelte. »All seine Anstrengungen wären vergeblich, wenn eine Nachrichtensperre verhängt würde.«
    Sofort spürte Paula wieder ihren Ärger über den Gutachter. »Die gab es bereits. Und das hatte keinerlei Konsequenzen.«
    »Ich denke, er hält sich für besonders intelligent und wäre daher mit gezielt abwertenden Aussagen Ihrerseits herauszufordern.«
    »Sie meinen, wenn ich ihn öffentlich herabsetze, kann ich ihn damit zu einer unüberlegten Handlung verleiten?«
    »Ja.«
    »Zum Beispiel, dass er seine Geisel tötet?«
    »Das ist unwahrscheinlich. Er würde etwas tun, das sich auf Sie bezieht, und dabei würde er einen Fehler begehen. Fordern Sie ihn heraus, das ist Ihre einzige Chance, ihn zu einem Lapsus, zu einer Fehlleistung zu zwingen.«
    »Das ist sehr spekulativ«, widersprach Paula. »Ich kann mir ehrlich gesagt überhaupt nicht vorstellen, wie so ein Mensch tickt. Er hat mich beispielsweise nur einmal angerufen. Es ist auch nicht wirklich zu begreifen, was er mit diesem Telefonat bezweckt hat. Er wollte Manuel tauschen gegen Informationen, die wir benötigen, um den Optiker-Fall aufklären zu können. Dann legt er auf und meldet sich nicht mehr. Einerseits sieht alles sehr geplant aus, andererseits erscheint es mir völlig wirr.«
    »In einem klassischen Sinn planen diese Täter ihre Taten ja auch nicht wirklich. Ein Bankräuber würde gezielter, klarer vorgehen. Dennoch lässt sich von einer Art Vorbereitung sprechen. Täter wie Ihr Optiker leben in zwei Welten: eine reale und eine Parallelwelt. In letzterer agieren sie ihre Fantasien aus, erfinden Situationen, Entwicklungen, Personen. Diese Gedankenspiele wiederholen sie ständig. Dabei gehen sie emotionsgeladen alle Varianten durch, als würden sie sie wirklich erleben. Videospiele imitieren das in etwa.«
    »Sie meinen, diese Täter spielen die vorgestellten Ereignisse hundertmal durch, bis ihnen die Fantasieerlebnisse nicht mehr reichen – dann werden sie übergriffig.« So weit war dies nichts Neues für Paula.
    »Genau. Zuerst werden sie einfach nur unruhig, halten insgeheim schon nach Gelegenheiten Ausschau, wo sie so einen Fantasieablauf in die Realität umsetzen könnten. Sie sind stets auf der Suche, und in dem Moment, wo eine der Fantasien Übereinstimmungen im wirklichen Leben findet, schlägt der Psychopath zu.«
    »Und dann kehrt er in sein normales Leben zurück, und das ist meist völlig unauffällig. Wie sollen wir so jemanden finden?«, wollte Paula wissen.
    »Er geht einem Beruf nach, ist vielleicht selbst Vater, und kein äußerliches Merkmal verrät das Monster. Aber – es gibt nur wenige von diesen Tätern, die auf Medienwirksamkeit aus sind. Ihr Vorgehen ist völlig anders. Sie wollen sicherstellen, dass ihre Opfer gefunden werden, und daher inszenieren sie die Auffinde-Situationen regelrecht filmreif. Ein Restaurant, in dem ein Spielfilm gedreht wird, ist solch ein Platz. Oder die Paris Bar. Oder der Berliner Zoo, der vor einigen Jahren mit dem kleinen Eisbären die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich gezogen hat. Besser geht’s doch gar nicht.«
    »Und was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?«, fragte Paula.
    Bleibtreu blickte sie hilflos an.
     

47
    A m Abend riss Tommi plötzlich die Tür zu Paulas Büro auf: »Er ist da!« Paula hatte an ihrem Schreibtisch düster vor sich hin gebrütet. Angesichts der wenig hoffnungsvollen Lage fand sie Tommis grinsendes Gesicht überaus irritierend und fragte etwas ärgerlich: «Von wem redest du?«
    »Na, von deinem

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