Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
Vom Netzwerk:
fragte den Geistlichen, ob eine Seele fühlen, denken, lieben und hassen könne. Ob sie nach dem Tod frei und erlöst sei.
    Der Pfarrer nickte: »Aber ja doch. Die Seelen der Verstorbenen sind unter uns, auch wenn wir sie nicht sehen können. Doch manchmal können wir sie spüren. Wenn eine Seele zum Schutzengel wird, ist sie immer bei uns und passt auf uns auf. Die Seele kennt keine Mauern, sie überwindet selbst Wände und geschlossene Türen, wandert über Berge und durch Täler.«
    »Und in welchem Moment fliegt die Seele aus dem Körper davon? «, fragte er.
    »Unmittelbar nach dem Tod. Wenn das Herz aufhört zu schlagen, entschwindet sie und lässt den Körper zurück, der im Grab zerfällt. Erde zu Erde und Staub zu Staub. Der Körper ist endlich, die Seele aber nicht.«
    Von diesem Tag an bestand er darauf, dass bei jeder Mahlzeit auch für Fabian gedeckt wurde. Und er zündete jedes Mal eine Kerze für ihn an.
     

45
    P aula fühlte sich wie gerädert, als sie am nächsten Morgen aufwachte. Der Traum, der sie in den frühen Morgenstunden verfolgt hatte, hing ihr noch nach. Darin musste sie immer wieder gegen neue Widerstände in der Sonderkommission ankämpfen. Einmal brannte sogar der riesige Schreibtisch, an dem Marius wie ein kleiner schüchterner Junge saß und auf die Nachricht wartete, von woher der Anruf des Täters gekommen war. Sie wollte zu ihm und die Flammen löschen, aber wie eine Astronautin in der Schwerelosigkeit kam sie kaum voran. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, was anschließend passiert war.
    Das Ende des Traumes aber war ihr noch so präsent, als hätte sie es tatsächlich erlebt. Der Polizeipräsident war in den Besprechungsraum der Soko Manuel gekommen, über vierzig Uniformierte sprangen auf, standen in einer langen Reihe stramm und salutierten. Langsam schritt der Präsident von einem zum anderen und korrigierte bei jedem Einzelnen die Körperhaltung. Mal hier das Kinn, mal da die Schultern. Paulas große Angst war, dass er auch zu ihr kommen und dabei feststellen würde, dass etwas falsch an ihr war. Dass sie nämlich gar nicht sie selbst war, sondern Sandra. Ihre Angst hielt sie so eisern im Griff, dass sie Magenschmerzen davon bekam, die sie auch im Wachzustand noch spürte. Aber natürlich passierte genau das, was sie befürchtet hatte: Als der Präsident vor ihr stand, hatte sie sich in Sandra verwandelt. In ihrem ängstlichen Bestreben, das wieder in Ordnung zu bringen, drehte sie sich schnell mehrmals um sich selbst und hielt plötzlich ein Frühstückstablett in den Händen. Das Tablett war ausgelegt mit einer gestärkten weißen Serviette. Darauf standen eine Kaffeekanne und ein Milchkännchen, ein Teller mit einem Wurstbrötchen und ein frisch gepresster Orangensaft. »Stärken Sie sich«, sagte sie zu dem Präsidenten und bot ihm von dem Tablett an. Drei Augäpfel lagen mit Petersiliensträußchen garniert neben dem Wurstbrötchen auf dem Teller und starrten sie böse an. Sie ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern, sondern wartete ruhig darauf, dass der Arzt erschien, der sie herausgeschnitten hatte. Professor Bleibtreu stand plötzlich im weißen Kittel vor ihr, mit Manuel an der Hand. Paula hoffte, dass der Junge sich vor dem Polizeipräsidenten gut erzogen aufführen würde. Doch er sagte gleich aufsässig, er wolle sofort seine Gummibärchen, sonst gäbe es richtig Ärger. Zum Glück hörte niemand auf ihn. Der Professor zerrte Manuel zur Seite und nahm ohne große Anstrengung und ohne dass auch nur ein Tropfen Blut floss, seine blauen Augen heraus und überreichte sie dem Präsidenten wie ein Trinkgeld.
     
    Benommen wankte Paula ins Bad und nahm eine kalte Dusche, unter der sie sehr fror. Dann zog sie sich den dicken flauschigen Bademantel von Jonas an und hüpfte mit Eisfüßen in die Küche, um eine Kanne Kaffee zu machen.
    Max und der Kriminalbeamte aus Charlottenburg waren noch nicht da, aber sie kochte für die beiden gleich Kaffee mit. Dann ging sie zu Sandra ins Gästezimmer, weckte sie und fragte, ob sie mit ihr frühstücken wolle.
    Aber Sandra, die wohl wieder ihr Valium genommen hatte, nuschelte, sie schlafe noch, und fügte hinzu: »Manuel frühstückt woanders.« Paula ging wieder in die Küche.
    Auch bei Kaffee und Zeitung stellten sich keine besseren Gedanken ein. Weder in Ruhe essen noch lesen war möglich, denn dauernd kamen Anrufe von den Kollegen aus der Soko. Sie wollte gerade los, als Sandra in der Tür erschien und sie mit: »Einen

Weitere Kostenlose Bücher