Unschuldig
Jonas, äh, ich meine Dr. Hofmann!«
Das war allerdings ungewöhnlich. Jonas war bisher noch nie unangemeldet an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht. Paula runzelte die Stirn. Warum war er nicht von der Klinik aus gleich nach Hause gegangen, um nach Sandra zu sehen? Zwar waren die beiden Beamten bei ihr, aber das waren schließlich Fremde für sie. Wenn sie jemanden zum Reden brauchte, würde sie sich sicher nicht an die beiden wenden.
Jonas drängte sich hinter Tommi durch die Tür. »Hallo, Liebling, was machst du da?«
»Wonach sieht’s denn aus?«, fragte Paula missmutig.
Er lachte. »Ich wollte dich überraschen. Du brauchst wirklich eine Auszeit.« Er sah sie streng an: »Was hast du heute gegessen? «
»Obst. Und Tommi hat mir einen Joghurt gebracht.« Paulas Blick schweifte über den Schreibtisch, wo ein Teller mit Apfelspalten und Orangenstücken unberührt neben einem noch geschlossenen Joghurt-Becher stand.
»Aha, ich sehe. Als dein persönlicher Leibarzt verordne ich dir auf der Stelle ein Abendessen mit mir. Das ist ein Befehl.« Er lächelte. »Und eine Einladung.«
Unversehens spürte Paula ein nagendes Hungergefühl. Sie stand auf und schob Jonas nach nebenan, wo das Team über Berichten und Protokollen zusammensaß. »Ich will euch ja nicht im Stich lassen«, begann sie lahm, wurde aber vielstimmig unterbrochen: »Pausieren wäre wirklich mal fällig, Paula!« »Dr. Hofmann hat recht, du musst mal durchatmen!«, »Wir machen das schon!« »Du bist ja ohnehin per Handy erreichbar, also was soll’s!«
Jonas hatte bei ihren Leuten offenbar bereits Stimmung für seinen Plan gemacht. Jetzt hakte er sich energisch bei ihr unter und zog sie aus dem Büro. »Nun komm schon! Wir werden erwartet. «
»Wohin geht es denn?«, fragte Paula.
»Ich habe das Lieblingslokal meiner Studentenzeit wiedergefunden«, erzählte Jonas, als sie bereits auf dem Weg waren. »Ich hätte nicht gedacht, dass es überhaupt noch existiert, und bin zufällig über die Joachim-Friedrich-Straße spaziert. Aber stell dir vor, es befindet sich unverändert an derselben Stelle wie damals und hat noch immer denselben Besitzer! Ich bin gleich hinein, und wer steht an der Bar wie eh und je? Ivan! Wir waren damals ziemlich gut befreundet. Manchmal hat er mir noch um zwei in der Früh ein Steak gebraten, wenn ich wieder einmal vor lauter Lernen das Essen vergessen hatte. Ich war auch der erklärte Liebling seiner Frau Gerda, aber die ist inzwischen leider gestorben. Eine lustige, sehr resolute Person. Ivan vergötterte sie geradezu. Mittlerweile bringt er jeden Sonntag bei seinem Friedhofsbesuch ihre Lieblingsblumen mit ans Grab und macht ihr lautstark Vorwürfe, dass sie ihn im Stich gelassen hat!«
Eigentlich stand Paula absolut nicht der Sinn nach rührenden Wiedersehensszenen mit alten Kumpels und nostalgischem Erinnerungsaustausch, aber sie wollte Jonas’ liebevoll gemeinte Bemühungen nicht mit einem Korb beantworten. Zu Hause warteten ohnehin nur eine drückende Stimmung und Vorwürfe auf sie.
»Köstlichkeiten aus Armenien, bitte schön!«, sagte Jonas und öffnete die Tür zu einem Restaurant mit dem Namen Big Window. Die fast intime Beleuchtung, die kuriose Sammlung aus Bildern, Schnitzereien und alten Fotografien an den Wänden und dazu die gebeizten Holzbalken schufen eine behagliche Atmosphäre. Am Eingang hatte sich der amerikanische Bildhauer Ed Kienholz mit einem Fingerabdruck und einem dicken Lob an den Chef verewigt: »For a Rib from Ivan.«
Die kleine Speisekarte enthielt vor allem Kebab vom Rind, Schwein, Kalb, Huhn, Lamm, Schafskäse und diverse Salate. Paula glaubte die orientalischen Gewürze aus der Küche riechen zu können, worauf ihre Bestellung bei dem uniformierten Kellner üppiger ausfiel, als sie eigentlich wollte. Auch der Wein, den Jonas bestellte, erwies sich als vorzüglich.
Entspannt lehnte Paula sich zurück.
Jonas erzählte Anekdoten aus dem Klinikalltag und von einer der Krankenschwestern, die ihm offen Avancen machte. »Das ist eine, die sich durch nichts entmutigen lässt, da kann ich noch so kalt reagieren. Solange ich keinen Ehering am Finger habe«, scherzte er, »wird sie sich weiter Hoffnungen machen!«
Paula musste lachen: »Wenn’s weiter nichts ist.«
Erst beim Dessert lenkte sie das Gespräch wieder zurück in die bedrückende Realität. »Glaubst du, dass Manuel noch lebt?«
»Selbstverständlich glaube ich das, Liebes. Und wir dürfen keinen Moment daran zweifeln.«
»Aber
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