Unschuldig
die Trauer würde eines Tages vergehen, die wüchse sich aus. Irgendwann wache ich auf, hatte er geglaubt, und meine Trauer ist weg. Ein Irrtum. Da hatte sich nichts ausgewachsen.
Nachdem er den Eltern und dem Ehemann kondoliert hatte, entdeckte er die Kommissarin hinter sich. Er bemerkte, dass sie die Staatsanwältin dabeihatte, die ein bisschen aussah wie Sharon Stone. Sie würdigte ihn keines Blickes, aber die Zeisberg hatte ihn im Auge. Sie ließ die Staatsanwältin stehen und kam jetzt zu allem Überfluss auch noch auf ihn zu. Sie sah ziemlich blass und mitgenommen aus. Was wollte sie von ihm? Ihn etwa fragen, warum er den Jungen nicht mitgebracht hatte? Er konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken, obwohl sie nur noch zwei Schritte entfernt war.
»Kriminalhauptkommissarin Zeisberg. Wir kennen uns vom Filmset«, sagte sie freundlich und streckte ihm die Hand zur Begrüßung hin. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
Er nahm die Hand und verwandelte sein Grinsen in ein ebenfalls wiedererkennendes Lächeln. »Ja, ich erinnere mich. Sie sind die Ermittlerin, die meinen Kaffee zu bitter fand.«
Sie deutete auf die Toreinfahrt. »Bleiben Sie noch oder gehen Sie auch?«
Inzwischen war er sich sicher, dass sie völlig ahnungslos war, und überlegte, was sie von ihm wollen könnte. »Ich glaube, für mich gibt es hier nichts mehr zu tun.«
Gemeinsam gingen sie in Richtung Ausgang. Dabei wollte sie sehr genau wissen, was Michi Rohde ihm nach dem Tod von Lea erzählt hatte. Was hätte der ihm schon sagen sollen? Der Arme hatte nichts mitgekriegt und sich ihm gegenüber nur darüber beschwert, wie nervig es war, dass er immer wieder dieselben Fragen beantworten musste, so als wäre er verdächtig. Er war richtig empört darüber gewesen und hatte mehrfach wiederholt: »Lea die Augen ausstechen, das muss doch eine ganz perverse Sau sein, da sollen sie doch lieber nach einem ausgebrochenen Irren suchen, anstatt mich durch die Mangel zu drehen.«
»Mir hat Michi nur gesagt, dass er nichts gesehen hat. Das kann ich mir gut vorstellen. Sie können bei der Arbeit nicht auch noch darauf achten, wer kommt oder wer geht. Sonst schaffen Sie das alles nicht.«
»Ein ziemlich anstrengender Job?«
»Ja. Aber Ihrer ist ja auch nicht gerade leicht.« Er lächelte sie an. »Wir Köche sind stolz auf unsere Arbeit – egal auf welchem Niveau wir unsere Ausgangsprodukte bearbeiten. Wir genießen es, dass wir es schaffen, Tisch für Tisch gut zubereitetes und schmackhaftes Essen rauszugeben.« Er merkte, wie die Kommissarin langsam ungeduldig wurde. »Ich weiß, wie es ist, den ganzen Tag und die Nacht durchzuarbeiten und schließlich erschöpft ins Bett zu fallen, wenn ich immer noch nach Knoblauch und Zwiebeln rieche. Aber, nein, lachen Sie jetzt nicht, ich kann gut beim U-Bahnfahren entspannen, hin und her und am liebsten mit der U2. Sehen Sie, als Koch bin ich kein Diener, sondern ein Facharbeiter. Was ein Kellner niemals …«
»Wie gut kannten Sie Lea Buckow eigentlich?«, unterbrach die Kommissarin seinen Redefluss.
»Nur vom Sehen.«
»Sie hatten nie direkt mit ihr zu tun?«
»Nein.«
»Und mit Felix Kleist?«
»Den habe ich mir allerdings gemerkt. Herr Kleist hat immer sehr auf sein Gewicht geachtet und informierte sich bei jedem Gericht über die genaue Kalorienangabe, bevor er überhaupt etwas zu sich nahm.«
»Mit ihm haben Sie wann zuletzt gesprochen?«
»An dem Tag, bevor Frau Buckow umkam. Er hat mir von seiner neuen Diät erzählt, die er nach den Dreharbeiten machen wollte. – Furchtbares Schicksal.«
»Kannten Sie diese Frau?« Die Kommissarin hielt ihm ein schlechtes Schwarz-Weiß-Foto von Claudia Borowski hin.
»Nein. Wer soll das sein?«
»Ein weiteres Opfer.«
»Tut mir leid, nie gesehen.«
»Sagen Sie bitte, wo waren Sie an den Abenden des 26. und 28. März?«
Er überlegte einen Moment. »In der Woche hatte ich Frühschicht. Dann gehe ich abends nicht aus. Wahrscheinlich hab ich an beiden Abenden auf Fabian, meinen kleinen Bruder, aufgepasst. Meine Mutter putzt abends in Zehlendorf, und wir machen es uns dann gemütlich vor dem Fernseher.«
»Sie wohnen noch zu Hause?«
»Ja.«
»Wie alt ist Ihr Bruder denn?«
»Er ist erst sieben.«
Die Kommissarin blickte ihn erstaunt an. »Ein Nachzügler?«
»Ja. Ein richtiger Sonnenschein.«
Nun war die Kommissarin eigentlich am Ende mit ihren Fragen. Aber sie blieb noch neben ihm. »Wie sind Sie denn zum Film-Catering gekommen,
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