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Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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Lea Buckow teilnehmen und die paar Schritte zum Dorotheenstädtischen Friedhof zu Fuß gehen.
    Vor dem Einfahrtstor standen zwei Streifenwagen. Als sie das Tor durchquerte und auf das Denkmal der Friedhofskapelle zuging, dachte sie an den Mordfall im letzten Herbst, der sie etliche Male auf diesen Friedhof berühmter Künstler und vermögender Kaufmannsfamilien geführt hatte. Eine gehäutete weibliche Leiche war auf einem Sargdeckel in einer der pompösen Familiengruften gefunden worden und eröffnete damit eine Serie von besonders scheußlichen Mordfällen.
    Paula blieb unschlüssig vor der Friedhofskapelle stehen, einem roh verputzten Bau mit Satteldach. Ein Angestellter stoppte einen Wagen und wies den Fahrer an, außerhalb des Geländes zu parken. Es gab eine kleine Diskussion, und sie wartete. Aus der Kapelle erklang jetzt das Air von Bach.
    Als sie den Friedhofsangestellten schließlich fragen konnte, wo sich die Grabstätte von Lea Buckow befand, musterte er sie skeptisch und fragte, wer sie sei. Vielleicht war ihr Ton zu streng gewesen. Sie zog ihren Dienstausweis.
    Er lächelte. »Jetzt erkenne ich Sie …«
    Sie unterbrach ihn freundlich. »Sagen Sie mir bitte nur, wo ich hinmuss.«
    »Ja, klar, Entschuldigung, ich kann Sie begleiten. Aber wenn Sie hier noch einen Moment warten wollen, sie müssten gleich rauskommen. Die Trauerfeier dürfte jede Minute zu Ende sein.«
    Sie nickte. Sie wollte jetzt nicht in die Kapelle gehen. Alles erinnerte sie zu sehr an die scheußlichen Ereignisse des vergangenen Herbstes. Der Angestellte entschuldigte sich, um einen weiteren Wagen zurückzuweisen. So hatte sie die Möglichkeit, für ein paar Minuten ganz in Ruhe die hohen Grabmäler zu betrachten, in denen sich die Geschichte des Friedhofs spiegelte.
    Sie grinste, als sie Chris’ Mini erkannte, und war nun gespannt, wie die Diskussion ausgehen würde. Sie hatte richtig vermutet. Er gab nach und ließ sie die letzte noch freie Parklücke nehmen. Chris stieg aus, elegant in einem schwarzen Kostüm mit großen Knöpfen, und kam lächelnd auf sie zu. Paula tauschte mit der Staatsanwältin ein paar Informationen über den letzten Stand der Ermittlungen aus, während sie warteten.
    »Und wie geht es deiner Schwester?«, fragte Chris.
    »Ziemlich schlecht. Ich mache mir furchtbare Sorgen um sie. Sie verzweifelt mit jedem Tag mehr, an dem Manuel nicht gefunden wird«, sagte Paula bedrückt.
    »Das tut mir leid. Kann ich irgendwie helfen? Soll ich mal mit ihr sprechen?«
    Paula zuckte hilflos mit den Schultern. »Weiß ich nicht. ›Wenn er tot ist, will ich wenigstens seinen Körper zurückhaben und ihn auf dem Melaten-Friedhof begraben‹, hat sie am Telefon zu unserer Mutter gesagt. Es ist ganz schrecklich.«
    Chris schwieg und legte ihr in einer mitfühlenden Geste die Hand auf die Schulter.
    Der Trauerzug verließ nun die Kapelle, und sechs kräftige Männer trugen den Sarg vorweg. Dann folgten Sascha Buckow, der Pfarrer und die Eltern der Verstorbenen.
    Paula erkannte Lea Buckows Mutter von den Fotos aus der Villa wieder. Sie war schlicht in Schwarz gekleidet und fingerte am Stoff ihres etwas altmodischen Mantels herum. Der Vater hakte sich bei seiner Frau unter. Sein Gesicht war kalkweiß. Der sportlich aussehende junge Pfarrer, der die Gemeinde im letzten Winter neu übernommen hatte, ging neben Sascha Buckow, der um Jahre gealtert schien, seit Paula ihn zuletzt auf dem Präsidium gesehen hatte.
    Während der Sarg langsam vorbeigetragen wurde, dachte sie an die Beerdigung ihres Vaters, als sie noch ein kleines Mädchen war. Den schneidenden Schmerz über seinen Verlust spürte sie im Rückblick noch beinahe genauso wie damals vor mehr als fünfundzwanzig Jahren. Warum nur verblassen glückliche Erinnerungen mit der Zeit und traurige bleiben wie ein Messer im Herzen stecken?, fragte sie sich.
    Ihre Mutter war eine sparsame Frau, die sich erst nach längerem Zureden ihrer Schwester einen schwarzen Hut gekauft hatte. Mehr unternahm sie nicht für diesen Anlass. »Mit Schwarz bin ich gut versorgt«, hatte sie sachlich festgestellt. Paula wusste, die Mutter hatte den Vater auf ihre Weise sehr geliebt. Ihre Zuneigung drückte sich in Fürsorge aus. Paula sah ihre Eltern nur selten Zärtlichkeiten austauschen. Für Gefühle gab es wenig Raum und kaum Worte. Als Mädchen hatte Paula diesen Widerspruch nicht wirklich durchschaut. Sie sah ihre Mutter noch am offenen Grab stehen, als der Pfarrer die Rede hielt. Eine gebrochene

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