Unschuldig
Giraffe plappern.
Seit jenem Weihnachtsfest besuchte Sandra ihre Schwester mehrmals im Jahr in Berlin. Es war nicht zu übersehen, dass der Kleine sehr an seiner Tante hing – und sie an ihm. Paula versuchte bei diesen Gelegenheiten immer, sich ein paar Tage freizunehmen oder wenigstens nicht bis in die Nacht zu arbeiten, um mit ihm zusammen sein zu können.
Der Zug aus Köln fuhr mit nur wenigen Minuten Verspätung ein. Die automatischen Türen öffneten sich, und Paula entdeckte die jüngere Schwester sofort. Ihr glattes hellblondes Haar trug sie neuerdings mit einem exakt geschnittenen Pony. Die beiden Schwestern hatten die gleichen blauen Augen, die mit dem gleichen, ein wenig spöttischen Blick ihre Umwelt betrachteten. Von Frauen wurde dieser Blick oft als Arroganz ausgelegt, während Männer sich häufig gerade davon angezogen fühlten. Sandra zog ihren großen roten Koffer, Manuel einen kleinen grünen hinter sich her.
Paula umarmte und küsste ihre Schwester, dann hob sie Manuel in die Luft. »Na, mein Süßer! Du bist ja groß geworden!«
Er schmatzte ihr einen feuchten Kuss auf die Wange. Der Kleine war jetzt sechs Jahre alt, sein blondes Haar kringelte sich in kurzen Locken in alle Himmelsrichtungen. Manuel selbst mochte seine Locken nicht und strich sie oft mit Spucke glatt. Aber Süßigkeiten liebte er und strahlte über das ganze Gesicht, als Paula ihm die Schokokekse reichte. Im Wagen bot er zunächst höflich seiner Mutter und dann Paula einen Keks an, bevor er sich selbst über die Packung hermachte. Ein aufmerksamer kleiner Gentleman.
Sandra erzählte vergnügt, was sie alles vorhatten in den beiden Berlin-Wochen. Sie erkundigte sich nach der Wetterprognose und fragte nach gemeinsamen Bekannten.
In bester Laune kamen sie in der Sybelstraße an, und Paula führte ihre beiden Gäste durch die neue Wohnung. Stolz verwies sie auf ihre Aussicht und die geräumigen Zimmer. Sandra war beeindruckt und lobte besonders den schönen Kamin. Manuel tollte herum und genoss es, über das dunkle Parkett zu schlittern, sich im Glasanbau die Nase an den Scheiben plattzudrücken und über den dicken Flor des Teppichs im Schlafzimmer zu rollen, den Paula eigentlich schon hatte ausmustern wollen.
Schließlich ließ Paula die beiden im Gästezimmer allein beim Auspacken. Jonas würde in wenigen Minuten nach Hause kommen und sich in seiner charmanten Art um beide kümmern, dachte sie erleichtert. Sie musste bald zurück zum Tatort und die Ermittlungen vorantreiben. Im Schlafzimmer klappte sie ihren Laptop auf, um schnell noch ein paar Mails zu beantworten, als sie Jonas’ Stimme hörte, wie er die Ankömmlinge begrüßte und ihnen gleich etwas zu trinken anbot. Sie selbst hatte das natürlich versäumt. Wenigstens hatte sie beim Einkaufen an den Eistee gedacht, den Manuel so gern trank, und gleich mehrere Packungen davon gekauft.
Dann kam Jonas zu ihr herein, küsste sie und stellte ihr fürsorglich eine Tasse Tee und ein paar Kekse auf den Schreibtisch. Erst jetzt merkte sie, wie groß ihr Hunger war. Sie trank den Tee und nahm die Kekse mit auf den Weg. Sie sollte am Abend noch genug zu essen bekommen. Es war ausgemacht, dass Jonas für alle kochen würde. Ein Jambalaya aus der Cajun-Küche, ein üppiges Reisgericht nach einem raffinierten Rezept mit Hühnerfleisch und Shrimps, das er aus New Orleans mitgebracht hatte und das Paula besonders liebte.
4
A uf dem Weg zurück zum Tatort rief Paula Tommi an, der im Produktionsbüro mit ersten Befragungen beschäftigt war. »Ich bin wieder auf dem Weg zum Set und werde noch ein paar Filmteamleute nach ihrem Verhältnis Lea Buckow befragen«, sagte Paula. »Was weißt du über die Angehörigen der Toten?«
Sie hörte Tommi mit Zetteln rascheln. »Es gibt einen Ehemann, Sascha Buckow, und Eltern, Anita und Arthur Gruenbaum.«
»Kinder?«
»Nein, keine Kinder.«
»Habt ihr schon Kontakt zu Buckow aufgenommen?«
»Nein, da warte ich auf deine Ansage.«
»Und zu den Eltern?«
»Auch nicht. Die leben in Alicante. Ich habe aber ihre spanische Mobilnummer.«
»Und weiter?«
»Sascha Buckow ist noch mit seiner Sekretärin auf der Autobahn von Hamburg nach Berlin unterwegs. Er hatte gestern eine Besprechung mit zwei Redakteuren beim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg und war über Nacht im Atlantik-Hotel.«
»Wer sagt das?«
»Der Produktionsleiter Schaub.«
»Wann wird er in Berlin zurückerwartet?«
»Gegen halb fünf oder fünf. Er wird aber wohl nicht
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