Unschuldig
ich wieder einen klaren Kopf hatte.«
»Ist es Ihre Angewohnheit, herumzufahren, wenn Sie etwas klären wollen?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Aha. Mussten Sie irgendwo tanken?«
»Ich hab noch am frühen Abend in Hamburg vollgetankt, das reicht bei meinem Mercedes.« Seine Stimme zitterte. »Ich schwöre, ich war’s nicht, ich schwöre es.«
Paula sah ein, dass sie so nicht weiterkommen würde, wartete einen Augenblick und fuhr dann mit der Befragung fort: »Wo haben Sie Ihre Frau kennengelernt?«
»In der Klinik. Vor gut acht Jahren. Lea war auf Entzug, und ich hatte ein Burn-out. Als ich sie nach Wochen zum ersten Mal ins Restaurant ausführte, war das ein ganz besonderer Abend. Sie trank nur Wasser, und ich nahm mir Zeit, ganz langsam und bewusst zu essen. Ich hatte mein Leibgericht bestellt, Dorade in der Salzkruste. Wir lachten viel. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte ich mich unbeschwert und frei. Wissen Sie, früher klingelte mein Handy ständig – ich war immer verfügbar, allzeit bereit sozusagen. Meine Zukunftsperspektive hieß: Genauso noch zwanzig Jahre weiterackern, bis die Wohnungen und Grundstücke abbezahlt sind. Dann endlich anfangen zu leben. So dachte ich damals.«
»Sie hatten mehrere Wohnungen?«
»In Marbella, an der Côte und in Berlin, immer zwei bis drei nagelneue Autos, jede Menge teure Möbel und so viele Klamotten in den Schränken, dass ich mich nie erinnern konnte, was ich wo deponiert hatte. Deswegen kaufte ich gleich alles dreimal. Ich hatte einen vollen Terminkalender auf dem Schreibtisch und goldene Kreditkarten in der Hosentasche, war Geschäftsführer von zwei Firmen, und meine Lebensplanung reichte bis zum nächsten Urlaub, wo ich dann mit schöner Regelmäßigkeit krank wurde. Entlastungsdepression nennt man das. Jeden Morgen um fünf Uhr klingelte der Wecker, und jeden Abend verpasste ich die Tagesthemen , weil ich noch in Kundenterminen steckte.«
»Was haben Sie beruflich gemacht?«
»Ich hatte zwei Maklerfirmen, eine in Berlin und eine in Marbella. «
»Und nach dem Burn-out?«
»Da musste ich mein Leben neu sortieren, und dabei hat Lea mir sehr geholfen. Ich versuchte, sparsam und bescheiden zu leben, kaufte selbst ein und schickte nicht das Hausmädchen. In meinem neuen Leben hasste ich es überhaupt, Pflichten zu haben oder irgendetwas tun zu müssen. Jegliche Reglementierung, jede Vorschrift lehnte ich ab. Am Anfang jedenfalls. Ich genoss einfach nur das Aufwachen und die Lust auf den Tag. Und die Freiheit zu lesen, den Garten umzugraben oder mit dem Hund spazieren zu gehen. Das war mein neues Leben.«
»Dabei blieb es aber nicht.«
»Nein, seit Lea die Produktion aufgebaut hat, gehe ich ihr zur Hand, wo ich nur kann. Der alte Stress hat mich wieder.« Er versuchte ein Lächeln.
»Könnte der Mord an Ihrer Frau in irgendeiner Weise mit ihren Geschäften in Zusammenhang stehen?«
»Nie im Leben. Natürlich gab es Konkurrenten, aber in der Filmbranche herrscht im Großen und Ganzen Fair Play.«
»Gestern haben Sie noch das Gegenteil behauptet. Filmen sei wie Kriegführen. Viele Erfolge – viele Neider und Feinde.«
Er putzte sich die Nase. »Aber da stand ich noch unter Schock. Ich kann mir niemanden vorstellen, der meine Frau umbringen würde. Und ich wäre dazu schon gar nicht in der Lage.«
Es klopfte an der Tür, und Paula wurde von Ulla nach draußen gebeten. Sie überreichte ihr einige Fotos der Verkehrsbehörde. Auf einem davon war Sascha Buckow deutlich zu erkennen. Er saß am Steuer seines Mercedes, Ecke Messedamm Neue Kantstraße, der Radar hatte ihn bei Tempo fünfundsiebzig erfasst. Auf dem Foto stand auch die Uhrzeit: 22.36 Uhr. Er war somit doch nach Berlin hineingefahren.
Also sagt er wieder nicht die Wahrheit, dachte Paula. Sie zögerte einen Moment, ob sie die Vernehmung sofort fortsetzen oder ihn ein wenig warten lassen sollte.
»Haben wir Neuigkeiten wegen der DNA-Vergleiche?«, fragte sie Ulla.
»Vorhin kam ein Fax. Hab ich noch nicht rausgenommen.« Sie ging in ihr Büro zum Faxgerät. Paula folgte ihr. Schon von Weitem erkannte sie an dem Logo, dass das Schreiben von der polizeitechnischen Untersuchung kam, also die Antwort auf ihre Fragen enthalten könnte. Und so war es auch. Das biologisch-chemische Labor hatte festgestellt, dass die DNA der bei Lea Buckow gefundenen Spermien mit der DNA des Speichels an der Coladose übereinstimmte, die der Regisseur Möller weggeworfen hatte.
Paula griff sofort zum Telefon und rief
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