Unschuldig
zurückhabe«, betonte sie immer wieder. »Die geb ich doch nicht für einen Kerl auf.«
Neuerdings wandte sie sich dem »richtigen« Leben zu. Was für sie hieß, dass sie verschiedene Kurse in der Volkshochschule besuchte, Gruppenmeditation machte, mit Freundinnen verreiste und die große weite Welt entdeckte. Ein-, zweimal im Jahr gehörte dazu auch ein Besuch bei Paula in Berlin.
»Guten Morgen, Liebes«, begrüßte ihre Mutter sie munter. »Wie geht es dir? Sind Sandra und Manuel schon aufgestanden? Was machst du gerade? Wie ist das Wetter bei euch?« Sie stellte anfangs immer mehrere Fragen auf einmal. Aufschlag für sie. Jetzt würde sie nicht mehr lockerlassen, bis Paula sich auf sie und ihre Themen eingestellt hatte. »Einmal in der Woche ein Viertelstündchen für deine Mutter. Ist das etwa zu viel verlangt?«, hatte sie sich einmal beschwert, als Paula nur wenig zu erzählen wusste. Dass sie nach langen Arbeitstagen, die häufig genug auch vor den Wochenenden nicht haltmachten, oft einfach nur todmüde war, ließ ihre Mutter nicht gelten.
Sie erkundigte sich übergangslos nach Jonas, kaum dass Paula ihr erzählt hatte, dass sie gerade ein Sonntagsfrühstück für alle vorbereitete: »Wie geht es ihm? – Was macht er? – Ist die Arbeit in der Klinik nicht zu anstrengend?«, und Paula fiel das schnelle Urteil aus dem letzten Jahr beim ersten gemeinsamen Weihnachtsfest ein, das ihre Mutter bereits nach wenigen Minuten über Jonas gefällt hatte: »Der passt prima zu dir. Endlich!«
Jonas musste es gehört haben, das war Paula ziemlich peinlich. Schwiegermutteraugen strahlten ihn an. Er hatte sie gleich im Sturm erobert und musste sich gar keine Mühe geben, ihr zu gefallen.
»Puh, da hast du ja doch noch mal Glück gehabt«, hatte ihre Mutter laut sinniert, während Paula ihren Ärger kommentarlos hinuntergeschluckt hatte. »Hoffentlich bleibt das auch so.«
»Habe ich dir schon erzählt, dass ich ein halbes Dutzend Leute von meiner Reisegruppe zu mir nach Hause eingeladen habe?«, unterbrach sie jetzt Paulas Erinnerungen. »Nächsten Mittwoch kommen sie. Wir wollen uns auf die Budapest-Reise vorbereiten.« Sie freute sich darauf wie auf eine lang ersehnte Geburtstagsparty. Selbst bei wildfremden Menschen hatte sie keine Berührungsängste, sie war neugierig und kommunikativ. Sie würde ihnen eine Platte mit Schnittchen, Gurken und Radieschen anbieten und den gekühlten Bocksbeutel zusammen mit dem unvermeidlichen Käse-Igel bereitstellen.
»Hört sich lustig an«, sagte Paula wenig überzeugt und versprach ihr, sich in den nächsten Tagen einmal zu einem etwas ausführlicheren Telefonat bei ihr zu melden. Jetzt musste sie sich ums Frühstück kümmern und Lauch und Petersilie für die Rühreier schneiden. Sie gab das Telefon an Manuel weiter, der schon ungeduldig darauf wartete, seiner Oma begeistert von seinem neuen Freund Luca erzählen zu können.
Jonas kam ziemlich verschlafen in die Küche geschlurft und küsste Paula auf den Nacken. Er hatte in der letzten Nacht nur wenig Schlaf in der Klinik bekommen. Als er sich an den Tisch gesetzt hatte, zog er Manuel auf seinen Schoß, der noch immer eifrig mit seiner Oma telefonierte: »Gibst du sie mir dann auch mal, Manuel?« Höflich erkundigte Jonas sich nach ihrem Befinden und hörte der Schilderung ihrer Reiseabenteuer zu. Als er aufgelegt hatte, wandte er sich wieder an Manuel, der noch immer auf seinen Knien saß: »Magst du gern Kuchen?«
»Mmh«, machte der Kleine und nickte heftig.
»Dann wollen wir zusammen einen backen und deine Mama damit überraschen.«
»Ich kann das aber nicht«, sagte Manuel.
»Wir Männer machen das zusammen. Du wirst sehen, es ist ganz leicht. Das Wichtigste ist eine Schürze. Und eine Mütze, wie bei einem richtigen Sternekoch.« Jonas holte eine alte Zeitung aus dem Wohnzimmer und faltete einen Papierhut daraus. Dann setzte er ihn Manuel auf den Kopf und band ihm ein Küchenhandtuch um.
»Wir machen etwas ganz Besonderes«, versprach er. »Eine Pavlova! Das ist ein köstliches Gebäck, benannt nach einer berühmten Naschkatze, für die sie erfunden wurde. Sie war Balletttänzerin, eine Primaballerina assoluta.«
»Was ist eine Ballerina assulta?«, fragte Manuel.
»Assoluta. Absolut. Unter allen Tänzerinnen der Welt die Allerbeste. Komm, hier hast du ein Backblech und Backpapier, das musst du jetzt zurechtschneiden.«
Manuel begann, mit der Küchenschere zu hantieren. Es sah aus, als würde er einige
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