Unschuldig
Versuche brauchen.
Paula lächelte in sich hinein, während Jonas vier Eier aufschlug und sorgfältig Dotter vom Eiweiß trennte. Dann nahm er den Schneebesen, um das Eiweiß steif zu schlagen, und fügte vorsichtig eine Tasse Zucker, einen Schuss Essig, Vanillezucker und Kartoffelstärke hinzu.
»Deine Tante Paula besitzt nicht einmal ein elektrisches Rührgerät. Das heißt, dass wir die Sahne für die Früchte, die später auf die Pavlova kommen, auch per Hand schlagen müssen.« Jonas stöhnte.
»Warum schenkst du ihr so ein Gerät nicht zum Geburtstag?« fragte Manuel naseweis.
»Weil sie mich dann umbringen würde«, lachte Jonas. Er sah, dass Manuel das Blech vorbildlich mit dem Papier ausgeschlagen hatte. »Das hast du gut gemacht.« Dann verteilte er die luftige Masse darauf. »Jetzt musst du das alles mit diesen Mandelblättchen bestreuen. Und danach kommt das Ganze in den Backofen. Bis es fertig ist, decken wir den Tisch.«
»Können wir nicht noch etwas anderes kochen?«, fragte Manuel, der sich offenbar nicht von seiner Mütze trennen wollte.
»Nein, jetzt überlassen wir Paula wieder die Küche. Wenn die Pavlova fertig gebacken ist, geben wir noch Sahne und frische Früchte darauf.«
»Wollt ihr dafür die Kiwis nehmen?«, fragte Paula.
»Ja, aber zuerst will ich Mama wecken«, sagte Manuel. »Sonst verpasst sie noch das Essen.«
15
K urz nachdem sie das üppige Sonntagsfrühstück beendet hatten und Paula sich gerade auf den Weg ins Büro machen wollte, um noch vor der Besprechung einige Unterlagen durchzusehen, kam der Anruf von Tommi: Eine weitere Leiche war vor wenigen Minuten in der Paris Bar aufgefunden worden. Paula fuhr sofort in die Kantstraße, wo bereits die ersten Pressevertreter und zwei Kamerateams vor dem besonders bei Filmleuten angesagten Lokal hinter der Polizeiabsperrung warteten.
Der Schauspieler Felix Kleist lag tot inmitten einer großen Blutlache auf der Herrentoilette der Paris Bar. Sein helles Seidenhemd war über und über mit Blut besudelt. Auch auf den schwarzweißen Fliesen prangten zahlreiche große Blutspritzer. Kleists Augäpfel waren gewaltsam entfernt worden, und der Täter hatte Knäuel von wimmelnden Mehlwürmern auf dem Gesicht des Toten zurückgelassen. Die mit dem Blut vollgefressenen Würmer sahen aus wie dunkelrosa Schlangenbabys.
Paula hatte bereits bei der zugerichteten Leiche Lea Buckows die Befürchtung gehabt, dass es sich um kein einmaliges Verbrechen handelte. Nun fand sie ihre dunkle Ahnung bestätigt.
»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte sie den Beamten, der ihr die Tür öffnete, und schlüpfte sofort in einen der bereitgelegten Schutzanzüge.
»Die Putzfrau.«
Eine Türkin saß an einem der Tische im vorderen Teil der Paris Bar direkt am Fenster. Sie hatte geweint und putzte sich die Nase, als Paula sich vorstellte und sie bat, ein paar Fragen zu beantworten.
»Wie heißen Sie?«
»Yasemin Ünlü.«
»Für welche Firma arbeiten Sie?«
»Immo-Clean.«
»Haben Sie einen Schlüssel?«
»Ja.«
»Wissen Sie, wer von Ihrer Firma noch einen Schlüssel für die Paris Bar hat?«
»Nein. Ich habe den Schlüssel vom Chef. Der vertraut mir.«
»Frau Ünlü, Sie haben den Toten gefunden. Wann war das?«
»Um kurz nach elf. Sonntags fängt meine Schicht um elf Uhr an.«
»Schildern Sie bitte, was passiert ist.«
»Ich wollte mit der Damentoilette anfangen und bin in den Vorraum gegangen. Da war überall Blut. Ich hab die Tür zur Toilette geöffnet. Und da lag er. Schrecklich, alles voller Blut und Würmer. « Die Frau schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte.
Paula legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. »Und dann?«
»Dann bin ich auf die Straße gerannt und habe meinen Chef angerufen. Ich wusste nicht, was ich machen soll.«
»Und was hat er Ihnen gesagt?«
»Er hat gesagt, bloß nix anfassen und sofort die Polizei rufen.«
»Und das haben Sie auch gemacht?«
»Ja.«
»Wann haben Sie das Restaurant wieder betreten?«
»Mit der Polizei. Mit den beiden Beamten. Der Mörder hätte ja noch in der Toilette sein können.«
»Und dann?«
»Dann sollte ich hier warten.«
»Sie haben also nichts im Vorraum angefasst oder sind in die Nähe des Toten gegangen?«
»Nein. Wer macht denn so etwas? Und die Würmer! Das ist doch krank.«
»Ja, das ist es.« Paula blickte missmutig nach draußen, wo noch mehr Presseleute und neugierige Sonntagsspaziergänger hinter dem rot-weißen Absperrband warteten. Ein
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