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Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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nie darüber geredet. «
    »Das klingt fast, als ob Sie nicht einmal überrascht sind«, sagte Paula.
    »Natürlich bin ich überrascht. Und geschockt. Das ist man ja wohl immer, wenn jemandem aus der eigenen Familie ein Unglück zustößt.«
    »Herr Borowski, wissen Sie, ob Ihre Tochter sich bedroht fühlte? «, fragte Paula an den Vater gewandt.
    Er fuhr mit seinem Rollstuhl näher an sie heran: »Bedroht? Nein, sie hat sich nicht bedroht gefühlt. Warum sollte sie?«
    Marius nahm eine von den eingewickelten Pralinen.
    »Schließlich wurde sie ermordet«, sagte Paula. »Das dürfen wir nicht vergessen.«
    »Vergessen?«, brüllte er plötzlich. »Wie sollte ich vergessen können, dass meine Tochter ermordet wurde!?« Und zu Marius mit drohender Stimme gewandt: »Sehen Sie lieber zu, dass Sie den, der das getan hat, zu fassen kriegen, statt hier rumzusitzen und meine Pralinen zu fressen!«
    »Sie haben doch selbst …«, wandte Marius ein.
    »Schnappen Sie den, der meine Claudia getötet hat, dafür bezahlen wir schließlich unsere Steuern.«
    Paula räusperte sich. »Genau deshalb sind wir hergekommen. Um zu sehen, ob Sie nicht irgendwelche Hinweise haben, die uns helfen könnten. Meine Mitarbeiter sprechen gerade mit den Bekannten und Arbeitskollegen Ihrer Tochter. Mit allen, die wir erreichen können. Ich kann Ihnen sagen …«
    »Und ich kann Ihnen sagen, was für ein Typ das ist, nach dem Sie suchen müssen«, unterbrach er sie wütend und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie müssen nach einem dieser Irren suchen, die man mit unseren Steuergeldern von einer Therapie in die andere schickt, anstatt ihnen gleich den Schwanz abzuschneiden.« Die Gesichtsmuskeln des alten Herrn zuckten, und seine Hände ballten sich im Schoß zu Fäusten.
    Er ist noch immer beim Militär, dachte Paula. »Herr Borowski, glauben Sie nicht …«
    »Ich sagte Ihnen ja gerade, was ich glaube«, schrie der alte Mann außer sich. »Das war irgend so ein Perverser, der das meinem Mädchen angetan hat!« Er drückte die Klingel, und sofort kam eine Schwester herbeigeeilt. »Begleiten Sie die Besucher hinaus«, sagte er, »bevor ich mich vergesse.«
     

30
    D ie Stimmung im Team war auf dem Nullpunkt angelangt, alle waren überarbeitet und misslaunig. Sie hatten bereits das dritte Opfer, aber noch immer keine heiße Spur. Und der öffentliche Druck wuchs. Paula hatte am Mittag ein erstes Statement vor etwa dreißig Medienvertretern gegeben und dringende Presseanfragen telefonisch und per Mail beantwortet. Ulla hing die ganze Zeit am Telefon und listete weitere Anfragen auf. Marius und Max hatten die letzten Stunden darauf verwandt, herauszufinden, mit wem Claudia Borowski in engerem Kontakt stand. Es waren tatsächlich nicht sehr viele. Ihr Chef und einige Arbeitskollegen im Zoo, eine Nachbarin, eine alte Freundin aus Dresden, mit der sie hin und wieder telefonierte, die Blumenfrau in der Nachbarschaft, die Hausmeisterin. Sie hatte kaum Besuch und fuhr selten fort. Meistens verbrachte sie ihren Urlaub mit Tagesradtouren in Berlin. Ihre Handyrechnungen betrugen kaum mehr als dreißig Euro im Monat. Sie bestellte regelmäßig Tierdokumentationen aus dem Internet und ging immer wieder allein zum Tanzen in die Berliner Techno- und House-Clubs.
    »Ein ziemlich einsames Leben«, sagte Marius über Claudia Borowski in der Besprechung. Alle saßen ratlos um den großen Tisch in Herberts Zimmer. Sie hatten Professor Bleibtreu dazu eingeladen, den psychiatrischen Gutachter.
    »Also stimmt die Aussage ihrer Schwester? Sie hatte wirklich keine Freunde?«, hakte Paula nach.
    »Scheint so. Nein, hatte sie nicht.«
    »Nicht mal eine Busenfreundin?«
    »Nein. Jeden Mittwoch verbrachte sie bei ihrem Vater, sofern sie keinen Dienst im Zoo hatte, ebenso die Weihnachtstage. Sie galt als unauffällig und hilfsbereit.«
    »Und warum wurde sie dann umgebracht?«, fragte Paula.
    Alle schauten sich schweigend an.
    »Ich kann am besten denken, wenn ich noch einmal alles zusammenfasse. Oder möchte sonst jemand?«, fragte sie in die Runde.
    Die Kollegen schüttelten die Köpfe.
    »Also, wir gehen von ein und demselben Täter aus, Trittbrettfahrer scheiden aus. Wir haben drei Morde. Eine Filmproduzentin, einen Schauspieler und eine Tierpflegerin. Die beiden ersten werden von ihren Bekannten sehr widersprüchlich geschildert. Der Ehemann hat ein Verhältnis mit seiner Assistentin, sein Alibi am Abend der Ermordung seiner Frau löst sich in Luft auf. Er hat zwar

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