Unschuldig
Bar konnten wir bereits befragen. Aber wir bitten alle anderen Gäste, die sich an jenem Abend in dem Restaurant befanden, unter 71 59 34 23 oder bei jeder anderen Berliner Polizeidienststelle anzurufen. Wir benötigen Ihre Unterstützung und sind für jeden Hinweis dankbar.«
Was sollten diese blöden Gäste? Wütend richtete er sich auf. Was versprachen sie sich davon? Die Bullen ahnen noch immer nicht, mit wem sie es überhaupt zu tun haben und wozu ich fähig bin, dachte er hasserfüllt.
32
S ieh mal, Paula, was wir machen!«, krähte Manuel ihr schon im Flur entgegen, als sie am Abend mit müden Schritten nach Hause kam.
Neugierig betrat sie das Wohnzimmer und traute ihren Augen nicht. Vor dem Kamin lag der große, teure Kelim, einer von Jonas’ Kleinodien und als solches von ihm ganz besonders vor unqualifizierten Zugriffen behütet. Jemand hatte ihn achtlos zur Seite geschoben und unordentlich in der Mitte gefaltet.
Manuel thronte auf der karierten Decke der Picknick-Garnitur, die er sorgfältig auf dem Boden ausgebreitet hatte. Besteck, Teller und Gläser waren ebenfalls akkurat im Viereck angeordnet und jeweils eine Serviette dazugelegt.
»Wir haben nur auf dich gewartet, weil wir mit dir jetzt picknicken wollen! Jonas hat mir gezeigt, wie man einen Tisch richtig deckt«, strahlte Manuel. »Guck mal, Paula, die Messer rechts, die Gabeln links und die Teller in der Mitte. Mama sagt, dass die Servietten auf die Teller gelegt werden müssen. Aber Jonas hat gesagt, richtig sind sie unter den Gabeln.«
»So hat man es bei uns zu Hause immer gehalten«, grinste Jonas. Er saß ebenfalls im Schneidersitz auf dem Boden und ignorierte seinen misshandelten Kelim völlig. »Ja, los, picknicken wir!«
Paula lachte. »Wie stellt ihr euch das vor? Für ein Picknick haben wir kein geeignetes Essen im Haus.« Sie fühlte sich überrumpelt, aber gleichzeitig von der fröhlichen Stimmung angesteckt. Manuels Wangen glühten vor Begeisterung.
»Ich besorge uns was«, meldete sich Jonas zu Wort. »Ich radle jetzt zum Ku’damm 195 und hol uns die besten Currywürste Berlins. Genug Bier ist im Haus, und für Manuel gibt es noch Eistee.«
Da musste sie jetzt durch, das war ihr klar. »Ja, ich hab sowieso Lust auf eine Currywurst mit Pommes rot-weiß. Im Kühlschrank müssten wir auch noch russische Gewürzgurken und Heringshappen haben.« Sie lachte und fand langsam immer mehr Gefallen an der spontanen Idee. Dann ging sie ins Gästezimmer, um ihre dort in einen dicken Schmöker vertiefte Schwester über den neuesten Stand zum Thema Abendessen zu informieren.
Eine halbe Stunde später saßen alle auf dem Fußboden auf der Picknickdecke und futterten mit Begeisterung, was Jonas und Manuel auf die Teller gezaubert hatten. Auch an Extras wie Buletten und eine dreifache Portion Kartoffelsalat hatte Jonas gedacht.
Paula wiederum hatte inzwischen ein Feuer im Kamin angezündet und behauptet, bei Picknicks im Freien seien Lagerfeuer durchaus üblich. Das fand Manuel, der ihr dabei nicht von der Seite wich, total »cool«.
Jonas nahm eine leere Flasche zur Hand. »Wir könnten auf Siebzigerjahre machen und sie als Kerzenständer benutzen.« Die drei Erwachsenen lachten.
»Hat jemand sonst noch irgendwelche Wünsche?«, fragte Sandra in die Runde und verteilte den Salat.
»Ja, ich!« Manuel hob die Hand wie ein Schulkind. »Ich wünsche mir so sehr einen kleinen Hund«, sagte er mit vollem Mund und sah dabei treuherzig seine Mutter an.
»Das kommt überhaupt nicht infrage, Liebling«, wies sie ihn sofort ab. »Erst war es nur eine Katze, jetzt willst du schon einen Hund, der noch mehr Arbeit macht.«
Manuel zog einen Schmollmund, was die drei anderen wieder zum Lachen brachte. Um ihn ein wenig vom Thema abzulenken, erzählte Jonas von Outdoor-Garküchen samt ihren Spezialitäten in aller Welt. Manuel kam aus dem Staunen und Gruseln gar nicht mehr heraus, als er von ungarischen Hefeteigfladen namens Langos, spanischen Datteln im Speckmantel, »Eitrige« genannten Wiener Bratwürstchen mit Käse, aber auch gegrillten Schlangen, gerösteten Ameisen und frittierten Heuschrecken zu hören bekam. Und dass dies alles – mit Ausnahme der Ameisen – Jonas auch noch geschmeckt hatte!
»Du vergeudest deine Zeit, meinen Sohn für all das begeistern zu wollen«, scherzte Sandra. »Kinder essen am liebsten ohne Besteck Hamburger und Pommes und trinken dazu Limo mit dem Strohhalm.«
»Stimmt ja gar nicht«, protestierte Manuel.
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