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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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körperliche Emotion wie Ekel oder Vergnügen signalisiert, werden Informationen zwischen dem prämotorischen Kortex und der Insel ausgetauscht – ein Vorgang, der eine Repräsentation ähnlicher viszeraler Gefühle auslöst. Wir vollziehen dann nicht nur nach, was mit dem Gesicht vor sich geht, sondern empfinden auch mit, was der andere in seinem Inneren fühlt, und wir haben teil an seinem Vergnügen oder seinem Ekel. Da die Insel auch direkten Input von visuellen Arealen erhält, könnten zwei Wege zur Gefühlsansteckung führen. Einer löst die Gefühlsrepräsentationen unmittelbar durch den Anblick des emotionalen Gesichtsausdrucks aus, während der andere indirekt verfährt, indem er zunächst die visuelle Beschreibung in eine motorische Repräsentation des warmen und des kalten Kontrollsystems übersetzt und dann die Repräsentation der entsprechenden Gefühle über Verbindungen zwischen diesen motorischen Systemen und der Insel auslöst.
    In der Psychologie hatte man schon vorher eine ziemlich exakte Theorie der emotionalen Kommunikation entwickelt, in der das Konzept der Gefühlsansteckung mit dem der Gesichtsmimikry kombiniert war. Der direkte Blick ins Gehirn bestätigt die Interaktion zwischen der Aktivierung ähnlicher Gefühle und der Reproduktion ähnlicher Gesichtsausdrücke, verändert die Theorie aber in zwei wichtigen Punkten.
    Erstens zeigen die neurowissenschaftlichen Daten, dass die stärkste motorische Aktivierung nicht im primär motorischen Kortex, sondern in höheren motorischen Arealen, unter anderem dem »kalten« prämotorischen Kortex und dem »warmen« cingulären motorischen Kortex, erfolgt. Während Aktivität im primär motorischen Kortex zu unmittelbar beobachtbaren Veränderungen im Körper führen, kann die Aktivität – wenn keine primär motorische Kortexaktivität vorliegt – verborgen bleiben. Wie wir unseren prämotorischen Kortex aktivieren können, ohne unsere Hände zu bewegen, wenn wir jemand anders einen Ball nehmen sehen, so können wir diese motorischen Areale höherer Ordnung aktivieren, ohne unbedingt unser Gesicht zu bewegen, wenn wir Gesichtsausdrücke anderer sehen. Der Beobachter fühlt sich dann so, als hätte er einen ähnlichen Gesichtsausdruck gezeigt, obwohl es gar nicht der Fall war. Dieser Prozess ist begrifflich verwandt mit dem, was die Psychologen Gesichtsmimikry nennen, weil er eine motorische Funktion ist; er unterscheidet sich aber von der Gesichtsmimikry, weil er nicht zwingend zu Bewegungen im Gesicht des Beobachters führt. Abhängig von etlichen Faktoren, kann diese motorische Simulation höherer Ordnung an den primär motorischen Kortex und die Gesichtsmuskeln geschickt werden und so die beobachtbare Gesichtsmimikry hervorrufen, die von Psychologen gelegentlich als Muskelaktivität im Gesicht des Beobachters gemessen wurde, doch dieser Prozess ist nicht zwingend. Wenn der andere mein Feind oder Konkurrent ist, oder wenn ich meine gefühlsmäßige Anteilnahme verbergen möchte, kann ich ein stoisches Gesicht machen und kein erkennbares Anzeichen meiner motorischen Simulation nach außen dringen lassen. 63
    Die Unterscheidung zwischen der Aktivierung einer Repräsentation ähnlicher Gesichtsausdrücke in höheren motorischen Arealen und beobachtbarer Gesichtsmimikry erklärt, warum die Forscher bislang keine zuverlässige Korrelation zwischen erkennbarer Mimikry und dem Verstehen von Gefühlen gefunden haben. 64 Erst die verborgene Simulation höherer Ordnung liefert uns Erkenntnisse über die Emotionen anderer. Beobachtbare Gesichtsmimikry hingegen ist lediglich ein instrumentelles Werkzeug in sozialen Austauschprozessen.
    Mimikry kann beispielsweise dazu beitragen, eine Bindung zwischen Sender und Beobachter herzustellen, da sie die Bereitschaft des Beobachters signalisiert, sich auf die Gefühle des Senders einzustimmen. In der psychologischen oder psychiatrischen Praxis kann das für die Stärkung der Beziehung zwischen Patient und Therapeut von Bedeutung sein. 47 Durch die Unterdrückung erkennbarer Mimikry können wir umgekehrt zum Ausdruck bringen, dass wir uns auf die Emotionen bestimmter Leute nicht einlassen wollen. Wer etwa auf ein Lächeln nicht mit einem Lächeln antwortet, sendet eine unmissverständliche Lass-mich-in-Ruhe-Botschaft, und wer angesichts eines weinenden Kindes kein trauriges Gesicht macht, signalisiert dem Kind mit Nachdruck: »Reiß dich zusammen!«
    Sowohl die Beobachtung von physischen Tätigkeiten als auch von

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