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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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Gesichtsausdrücken führt zu Aktivitäten im prämotorischen Kortex. Beide können, müssen aber nicht, zu beobachtbarer Nachahmung führen. Trotz dieser Ähnlichkeit ist beobachtbare Mimikry bei Gesichtsausdrücken häufiger als bei zielgerichteten Handlungen, wo sich eine messbare Muskelaktivität häufig erst nach Einsatz der TMS -Technik zeigt. Warum dieser Unterschied? Die Antwort könnte sehr einfach sein. Wenn Sie und ich in einem Restaurant säßen, an separaten Tischen speisten und Sie würden auf mein Lächeln mit einem Lächeln antworten, nachdem wir beide gesehen hätten, wie ein Kellner unabsichtlich einen arroganten und unangenehmen Gast mit einem Teller Suppe übergossen hätte, würden wir eine gewisse »Verbundenheit« spüren. Wie Studien gezeigt haben, fühle ich mich durch solche Gesichtsmimikry veranlasst, mit Ihnen zu interagieren und positiver von Ihnen zu denken. Die Handaktivitäten des Kellners beobachtbar nachzuahmen und den eigenen Teller Suppe jemand anderem übers Jackett zu gießen, hätte weit negativere Auswirkungen. Im Allgemeinen wirkt sich die Nachahmung zielgerichteter Handlungen während der Beobachtung negativ aus, weil sie das eigene Verhalten des Beobachters beeinträchtigt. Meist verursachen Gesichtsausdrücke keine solchen Beeinträchtigungen.
    Die Grenzen zwischen Individuen verwischen
    Im Mittelpunkt unserer westlichen Gesellschaften stehen das Individuum und sein Recht, nach Glück zu streben. Werte wie Ehe, Familie und Nation werden zunehmend ersetzt durch das Individuum und sein Recht, nach persönlicher Erfüllung zu suchen. Senioren gehen in Altersheime, um der freien Entfaltung ihrer Kinder nicht im Wege zu stehen. Die Wirtschaftstheorie setzt voraus, dass der Mensch ein homo oeconomicus ist, das heißt ein vernunftbegabtes Wesen, welches so handelt, dass es den größten Nutzen davon hat.
    Die Neurowissenschaft kann uns nicht verraten, wie die Beziehung zwischen Menschen sein sollte oder ob der Individualismus gut oder schlecht ist. Sie kann uns lediglich sagen, wie unsere Natur beschaffen ist und wie Jahrmillionen Evolution unser Gehirn so geprägt haben, dass wir Beziehungen zu anderen Menschen unterhalten können. Dabei war die Entdeckung der gemeinsamen Schaltkreise ein wichtiger Schritt: Wir verstehen jetzt besser, wie es zu dieser Verbindung zwischen unserem individuellen Geist und den Menschen um uns her kommt.
    Vor der Entdeckung der gemeinsamen Schaltkreise war unsere Vorstellung vom Gehirn im Wesentlichen individualistisch. Danach wurde die »Welt draußen« – einschließlich der Menschen um uns her – in sensorischen Hirnarealen repräsentiert. Das »Selbst« und seine Willensfreiheit waren in streng abgetrennten Regionen lokalisiert. Diese »persönlichen« Hirnregionen waren mit den Funktionen des Individuums befasst, etwa mit der Entscheidung, welche von einer Reihe Alternativen das Individuum glauben oder ausführen, wie es seine Aufmerksamkeit ausrichten und welche Erinnerungen es speichern oder abrufen sollte. Natürlich konnte nach dieser Auffassung auch die Umgebung Einfluss auf die persönlichen Hirnareale ausüben, doch dieser Einfluss blieb indirekt und strikt unterschieden vom fortwährend ausgeübten Handlungsvermögen des Individuums. Das Individuum besaß eine klare Grenze in der Gesellschaft wie im Gehirn.
    Im Licht neuerer Forschung sind die Menschen um uns her nicht mehr nur Teil der »Welt draußen« – eingeschränkt auf die sensorischen Hirnareale. Durch die gemeinsamen Schaltkreise finden diese Menschen, ihre Handlungen und ihre Emotionen Eingang in viele Regionen unseres Gehirns, die einst ein sicherer Hort unserer Identität waren: unser motorisches und unser emotionales System. Die Grenzen zwischen Individuen werden durchlässig, die soziale und die private Welt mischen sich. Emotionen und Aktionen erweisen sich als ansteckend. Das unsichtbare Band gemeinsamer Schaltkreise schließt unsere Empfindungen und Gefühle zusammen und schafft ein organisches System, das über das Individuum hinausreicht.
    Seit Jahrhunderten wissen wir, dass die Handlungen und Gefühle anderer unsere eigenen beeinflussen können. Geirrt haben wir uns nur in der Frage, wie direkt diese Verbindung ist. Die Neurowissenschaft zeigt uns, dass wir dieses Band nicht nur durch unsere Gedanken herstellen oder indem »wir uns vor[stellen], dass wir selbst die gleichen Martern erlitten« oder »gewissermaßen eine Person mit ihm«, dem anderen, würden 65 ,

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