Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
Vom Netzwerk:
das seit Mitte des 19. Jahrhunderts bevorzugtes Ziel deutscher Auswanderer ist. Deutsche genießen hohes Ansehen in Chile, sie gelten als tüchtig und effektiv. Und gutes Brot backen sie außerdem. Von sechzehn Millionen Einwohnern Chiles ist mehr als eine halbe Million deutschstämmig. Sie kamen in Wellen nach Chile, nach der gescheiterten Revolution 1848 landete der erste Schub; zu Beginn des NS -Regimes flüchteten deutsche Juden. Nach 1945 folgten Flüchtlinge aus dem in Trümmern liegenden Europa. Darunter waren auch NS -Täter. Unterstützt von der katholischen Kirche wurden manche von ihnen auf den sogenannten »Kloster- oder Rattenlinien« 48 über Italien nach Südamerika geschleust – wie die sprichwörtlichen Ratten verließen sie das sinkende Schiff. Einige gingen nach Chile. Wie Walther Rauff, der Erfinder der Gaswagen, in denen Juden vergast wurden.
    Es gibt also viel zu besprechen auf der Einweihungsfeier des Jugendheims.
    Mit Gesang, Blas- und Streichinstrumenten unterhält die Heim-Jugend die Besucher. Da stehen die Mädchen in weißen Blusen und dunklen Röcken, die Jungen in langen schwarzen Hosen. Vorne Gudrun, sie spielt Mandoline, dann Flügelhorn. Weiter oben spielt Brigitte Baak, und ganz hinten ragt Gerhard Mücke auf; schon seit Jahren sind die beiden ein Paar, kurzfristig musste Gerhard seine Brigitte an Schäfer ausleihen, als dieser eine Vorzeigeverlobte braucht. Mit tagelangem Fasten muss »der Mauk« auf Schäfers Befehl gegen seine sexuellen Bedürfnisse ankämpfen. Bis Gerhard und Brigitte heiraten dürfen, wird es noch lange dauern. Beide fügen sich, obwohl sie tiefunglücklich sind, aber ein eigener Wille ist nicht mehr vorhanden. Das Blasorchester spielt »Preußens Gloria«, und »Struppi« – Hartmut Hopp –, ein blonder Jüngling mit lächelndem Mund, schlägt das Becken. Wolfgangs späterer Freund »Kuddel«, ein ausgesprochen gut aussehender Mann, gibt den Dirigenten. Auch beim Chorsingen deutscher Volkslieder ist Gudrun dabei:
    Wohlauf in Gottes schöne Welt, Lebe wohl ade!
    Noch weiß sie nicht, dass Schäfer sie alle schon im nächsten Jahr voneinander fortreißen wird, die Familien, die Freunde.
    Die Luft ist blau, und grün das Feld, Lebe wohl ade!
    Voll Schwung und Begeisterung singen die Kinder und die jungen Leute; auch Wolfgang zwei Reihen hinter Gudrun schmettert tapfer und angestrengt mit. Unsichtbar für die Zuschauer gibt jemand ihm ein Zeichen, und sofort schaltet Wolfgang sein strahlendes Lächeln ein.
    Die Berge glühn wie Edelstein.
    Ich wandre mit dem Sonnenschein
    ins weite Land hinein
    Diese Szene berührt und erschreckt zugleich: Ähnlich wie in viel späterer Zeit der unheimlich mitreißende Chor junger Nazis in der Biergartenszene des Films Cabaret .
    Tief beeindruckt zeigt sich auch der Direktor des Gymnasiums in Siegburg in seiner Rede. Mehr noch, er ist sogar »… erschlagen von dem, was ich hier sehe … Hätten wir doch noch mehr solcher Leiter und Lehrer in unseren Lehranstalten, die so eindeutig und klar nach letzten Werten ausgerichtet sind.«
    Eigentlich gehen die Kinder in Munch zur Schule, aber drei Schüler wurden am Siegburger Gymnasium angemeldet: Hartmut Hopp, Hussain Siam und Günter Reuss. Daher ist auch der Direktor des Gymnasiums eingeladen. Er lernt Paul Schäfer und den früheren Luftwaffenoffizier Dr. Hermann Schmidt kennen – den inoffiziellen und den offiziellen Leiter des Jugendheims – und schwärmt in seiner Rede: In seiner dreißigjährigen Laufbahn habe er »noch niemals eine Schar junger Menschen vor mir stehen gehabt, aus deren Gesicht und ganzer Haltung eine solche Klarheit und Sauberkeit und solche, ich möchte fast sagen, ein solcher Edelsinn sprach, wie ich das heute hier gesehen habe«.
    Dann fügt er an: »Ich glaube nicht, dass ich mich getäuscht habe.« Ein merkwürdiger Nachsatz, der Zweifel verrät.
    Auch der Direktor des Siegburger Gefängnisses wird zur feierlichen Einweihung eingeladen. Auf persönlichen Wunsch von Paul Schäfer. Doch während der Feier hält sich Schäfer im Hintergrund, er lässt andere reden. Eine Begegnung mit diesem Direktor vermeidet er auffallend, er schleicht durch die Räume, verbirgt sich hinter Pfeilern. Der Direktor hingegen scheint sich köstlich zu amüsieren. Bis ein oder zwei Uhr nachts. Ida entdeckt Schäfer, wieder hinter einem Pfeiler versteckt. Er zischt ihr zu: »Will der denn gar nicht gehen?«
    Kennt Schäfer den Gefängnisdirektor persönlich? Vielleicht liegt

Weitere Kostenlose Bücher