Unser Leben mit George
sie dann am Fußende meines Bettes. Auch wenn sie in wachem
Zustand nicht sehr nett war, fühlte ich mich nicht ganz so einsam, wenn sie
dort unten lag.
Denn obwohl mich Familie und Freunde
weiterhin nach Kräften unterstützten, war ich doch sehr einsam. Es war nicht so
schwer, die Tage mit Aktivität zu füllen, wenn man sich um ein Kind zu kümmern
hatte, aber die Nächte waren schlimm. Wenn Joshua im Bett war, saß ich allein
im Wohnzimmer und wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Musik hören
wollte ich nicht, weil mich das emotional zu sehr mitnahm, also sah ich mir
jeden Blödsinn im Fernsehen an oder blätterte mein Adressbuch durch nach
jemandem, den ich anrufen konnte. Ich versuchte zu lesen, aber irgendwie konnte
ich mich nie lange auf ein Buch konzentrieren. Selbst Zeitungsartikel oder
Zeitschriften interessierten mich nicht.
Der Blick von meinem Platz auf dem Sofa
— dort, wo Udi und ich uns früher aneinanderzukuscheln pflegten — fiel durch
den Rundbogen in die Küche und damit direkt auf das Tischende und den Stuhl,
den ich immer noch als seinen betrachtete. Dieser Anblick deprimierte
mich schrecklich. Ich musste immer daran denken, wie Udi dort gesessen und
seine langen Telefonate geführt hatte, entweder mit verzweifelten
Psychotherapie-Patienten oder mit seinen Verwandten in Österreich; wie er das
vierte Programm hörte und gleichzeitig den Guardian las, oder wie er in
der Literaturbeilage der Times oder im Katalog von Innovations blätterte. Das war eigentlich die Lieblingslektüre meines Mannes, davon zeugten
die vielen ausgefallenen Haushaltsgeräte, die wir besaßen. Dazu gehörte die
Hälfte eines magnetischen Fensterreinigers, mit der man von innen die Scheiben
außen putzen konnte, die man anders nicht erreichte (die andere Hälfte war
gleich beim ersten Versuch ins Gebüsch der Nachbarn gefallen); ein batteriebetriebener
Flusenentferner, der Löcher in die Pullover riss; und ein großer weißer
Knoblauchschäler, der wie ein Folterinstrument aussah und beim ersten und
einzigen Mal, als wir ihn benutzten, den Knoblauch über die ganze Küche
verteilte.
Während dieser endlos langen Abende
vermisste ich all das, was mich an Udi einst zur Verzweiflung gebracht hatte:
sein Kettenrauchen, seine Fähigkeit, ständig seinen Standpunkt zu wechseln,
sobald wir etwas Wichtiges erörterten; selbst ein guter, handfester Krach über meine
Schlampigkeit. Obwohl ich von anderen Leuten hörte, wie glücklich und erfüllt
Udis Leben mit mir gewesen war, machte ich mir auch Vorwürfe, vielleicht zu
Unrecht, dass ich nicht liebevoll genug zu ihm gewesen war. Glauben Sie mir,
nichts ist so schlimm wie der Tod des Ehegatten, um über das eigene Verhalten
nachzudenken und sich Vorwürfe zu machen. Wie die vielen Male, wo ich nach
einem dummen kleinen Streit tagelang geschmollt hatte. Oder als ich darauf
bestanden hatte, dass wir die Sommerferien bei meinen Eltern in Frankreich
verbrachten statt in Spanien, ein Land, das Udi liebte. Die vielen Male, als
ich ihm nicht genügend Beachtung geschenkt hatte oder Monster Mog gestreichelt
hatte, statt Udis Hand zu halten. Oder wenn ich mich am Ende eines wirklich
schönen Abends über eine taktlose Bemerkung aufgeregt hatte, die Udi gemacht
hatte (und darin war mein lieber Mann ein Meister). Meist kam ich dann zu dem
Schluss, dass ich als Frau und Partnerin okay, aber eben doch nicht gut genug
gewesen war, besonders nicht für jemanden, dessen Schicksal es war, mit
sechsundfünfzig Jahren zu sterben, und der, solange er lebte, wirklich etwas
mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Jetzt war es natürlich zu spät. Ich konnte
meine Fehler aus der Vergangenheit nicht wiedergutmachen. Ich konnte mich nicht
einmal entschuldigen. Ich musste den Sack mit meinen Schuldgefühlen einfach mit
mir herumtragen und den Rest meines Lebens irgendwie bewältigen.
Wenn ich es dann wieder mal
fertiggebracht hatte, so richtig deprimiert zu sein, knipste ich meist das
Licht aus und ging nach unten ins Bett, wo ich dann weitergrübelte. Es war
nicht Udis Gespenst, das mich verfolgte, nein, ich selbst verfolgte mich. Alle
meine Sorgen — ob Joshua glücklich war, ob ich genug Geld hatte, wie es Weitergehen
sollte — schlugen über mir zusammen. Warum war das nur passiert?, fragte ich
mich immer und immer wieder. Wie würde mein Sohn aufwachsen ohne einen Vater
als Bezugsperson? Warum musste ausgerechnet mein Mann sterben?
Gleichzeitig wusste ich, dass ich keinen Grund hatte,
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