Unser Spiel
schlug mir entgegen, die mich an meine dünnen Kleider erinnerte, aber für den Hut dankbar sein ließ. Der Hagere zischte auf russisch » Schneller , verdammt« und stieß mich vorwärts. Es ging zwei kurze Treppen hoch, und als ich die zweite erreicht hatte, rieselte Schnee auf mich herab. Ich kletterte durch einen Notausgang auf einen verschneiten Balkon, auf dem ein Junge mit einer Pistole stand. Er winkte mich eine Eisenleiter hinunter. Ich rutschte aus und stieß mich empfindlich im Kreuz. Er beschimpfte mich lautstark. Ich fluchte zurück und stolperte weiter.
Vor mir sah ich die Männer mit meinem Gepäck im Schneetreiben verschwinden. Ich befand mich auf einer Baustelle zwischen Erdhaufen, Gräben und geparkten Traktoren. Ich sah eine Baumreihe und hinter den Bäumen wild durcheinander geparkte Autos. Meine Schuhe waren voller Schnee, der mir bis an die Waden reichte. Ich rutschte in einen Graben und zog mich mit Ellbogen und Fingern wieder heraus. Der Schnee blendete mich. Ich wischte ihn weg und sah zu meinem Erstaunen Magomed, halb Clown, halb Hirsch, vor mir herspringen; der Hagere war dicht hinter ihm. Ich taumelte weiter, versuchte ihre Fußstapfen zu benutzen. Aber der Schnee war so tief, daß ich mit jedem Schritt tiefer in diesem Priddy-Sumpf versank und mit rudernden Armen von einem Loch zum andern strauchelte.
Magomed und sein Begleiter warteten auf mich. Zweimal rissen sie mich brutal vom Boden hoch; bis Magomed mich unter lauten Flüchen auf die Arme nahm und über den Schnee und zwischen den Bäumen hindurch zu einem Lastwagen schleppte, dessen Ladefläche halb mit einer Plane abgedeckt war. Als ich ins Fahrerhaus kletterte, sah ich den zweiten der beiden jungen Männer aus dem Nachtclub unter die Plane kriechen. Magomed übernahm das Steuer, der Hagere setzte sich auf die andere Seite neben mich, eine Kalaschnikow zwischen den Knien und Ersatzmunition zu den Füßen. Der Motor des Lkw brüllte protestierend auf, als wir die Schneewehen beiseite schoben. Durch die schneebedeckte Windschutzscheibe nahm ich Abschied von der gespenstischen Landschaft, die ich gerade zum erstenmal gesehen hatte: geschwärzte Wohnblocks, die aus einem alten Kriegsfilm gestohlen waren; ein eingeschlagenes Fenster, aus dem in dicken Wolken warme Luft quoll.
Wir schlichen auf eine Hauptstraße, Lastwagen und Autos rasten vorüber. Magomed hieb auf die Hupe und hielt sie gedrückt, bis er eine Lücke erzwungen hatte. Sein Begleiter zu meiner Rechten beobachtete jedes Auto, das uns überholte. Er sprach in ein Handy, und ich nahm an, daß er mit den Männern unter der Plane redete, denn er lachte und drehte den Kopf nach hinten. Die Straße neigte sich, und wir neigten uns mit. Unten tauchte eine Kurve auf. Wir fuhren zuversichtlich darauf zu, doch unser Lastwagen verweigerte wie ein störrisches Pferd und rutschte einfach geradeaus weiter eine Böschung hinauf, bis er anmutig auf halber Höhe im Schnee steckenblieb. Magomed und drei seiner Leute sprangen sofort nach draußen. In perfekter Zusammenarbeit schoben sie den Wagen in die richtige Lage, und ehe ich noch Zeit hatte, unruhig zu werden, waren wir schon wieder unterwegs.
Jetzt säumten Datschas die Straße, die verzierten Giebel waren dick mit Schnee bedeckt, die winzigen Gärten lagen unter weißen Schonbezügen. Dann keine Datschas mehr. Hochspannungsmasten und flache Felder glitten an uns vorbei, und dann kamen hohe Mauern und drei Meter hohe Stacheldrahtzäune, die die Paläste der Superreichen sicherten. Schließlich gelangten wir, wie es schien zu allgemeiner Erleichterung, in einen Wald – Kiefern und halb entlaubte Weißbirken – und fuhren langsam über unberührten Schnee einen schnurgeraden Weg entlang, der an gefällten Bäumen und den ausgebrannten Wracks rätselhaft verlassener Autos vorbeiführte. Der Weg wurde schmaler und dunkler. Eisige Nebelwolken wälzten sich über die Motorhaube. Wir kamen auf eine Lichtung und hielten an.
Zunächst ließ Magomed den Motor laufen, damit wir die Heizung anlassen konnten. Dann schaltete er ihn aus und kurbelte das Fenster herunter. Wir rochen Kiefernholz und reine Luft und horchten auf das verstohlene Plumpsen und Rascheln, die Geräusche des Schnees. Mein Mantel, quietschnaß von meinem Sturz, war kalt und schwer. Langsam machte ich mir Sorgen um die Männer unter der Plane. Ich hörte einen Pfiff, drei leise Töne. Ich sah zu Magomed hinüber, aber der heilige Mann hatte die Augen geschlossen und den
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