Unsichtbar und trotzdem da!, 5, Spur der Erpresser (German Edition)
Eindruck auf mich.“
Jenny wurde ein bisschen rot. Dann betrat sie den Hausflur als Erste. Addi und Ağan schlüpften hinter ihr her.
Im zweiten Stock machte die alte Dame halt. Wieder zog sie ihren Schlüsselbund hervor und öffnete diesmal die dunkle Wohnungstür. Vor den Unsichtbar-Affen erstreckte sich ein langer Korridor.
Jenny, Addi und Ağan blieb der Mund offen stehen.
Der Flur war ausgelegt mit Teppichen in allen Farben und Formen. Sie waren zerschlissen und doch strahlten ihre Farben wie Feuer. An den Wänden hingen Rahmen an Rahmen alte Bilder.Fotos, Drucke, kleine Gemälde und Kinderzeichnungen bildeten ein traumhaftes Durcheinander. Sogar eine gerahmte Haarlocke war darunter.
Die Gräfin legte ihren Mantel ab.
Ağan sah sich um. Direkt vom Flur aus führte eine Tür in eine große Küche. Sie hatte ein Fenster zum Hof. Neben einem alten Gasherd stand ein zweiter, noch älterer Herd, der mit Holz befeuert werden konnte. Ein tiefes, metallenes Waschbecken war an der Wand angebracht. Und der Boden bestand aus einem Mosaik winziger Steine.
„Wahnsinn!“, sagte Addi, der neben Ağan in die Küche trat. „Sahen so früher alle Berliner Küchen aus?“
„Kommt schon, kommt schon.“ Die Gräfin deutete auf eine andere Tür, die offen stand und vom Flur in ein großes Zimmer führte. „Es gibt nichts zu essen. Hier ist ein Bild von der Mikwe.“
Die Unsichtbar-Affen traten ins Wohnzimmer. An den Wänden leuchteten Seidentapeten mit lila und rosa Streifen und auf alten Möbeln standen Kristallschalen und andere Erinnerungsstücke.
„Da!“ Die alte Frau streckte die Hand aus und deutete mit dem Zeigefinger auf ein Foto, das neben einem großen Kamin in einem Silberrahmen hing. Auf dem Bild war ein gemauerter Schacht zu sehen, an dessen Boden sich ein winziges Schwimmbad oder Tauchbecken befand.
„Mikwe“, erklärte die Gräfin, „heißt nichts anderes als Ansammlung von Wasser. Im Wasser der Mikwe reinigen wir Juden uns spirituell. Also, es ist nicht einfach eine Badewanne. Wer in die Mikwe steigt und dort untertaucht, bei dem setzt man voraus, dass er gewaschen ist. Das Wasser in der Mikwe muss deswegen lebendiges, fließendes Wasser sein. Es darf weder herangetragen noch herbeitransportiert worden sein. Und deswegen kommt nur Quellwasser oder Grundwasser infrage.“
„Und Regenwasser?“, fragte Ağan.
„Oh, ja. Du bist klug. Regenwasser auch. Nach dem Gesetz der Thora, der hebräischen Bibel, gibt es Situationen, zum Beispiel vor der Hochzeit eines Menschen, in denen er geistig wieder so rein wie von Gott geschaffen sein sollte. Von seelischer Unversehrtheit, versteht ihr?“
„Ja“, sagte Ağan. „Ohne Angst und Furcht in sich. Ohne Tod an den Händen oder böse Gedanken im Herzen.“
Die alte Gräfin lächelte. „So ist es. Und in diesen Zustand gelangt man durch eine rituelle Waschung. Von den Zehen bis zur letzten Haarspitze. Und die vollzieht man in einer Mikwe.“
„Das ist ja wie bei der Taufe früher, als man noch ganz untergetaucht wurde“, meinte Jenny.
„Und wie bei der rituellen Waschung des Geistes bei der Vorbereitung zum Gebet“, sagte Ağan.
Wieder lächelte die Gräfin.
In diesem Moment schlug eine alte Standuhr, die neben einem schwarzen Klavier stand, elf Uhr.
„Oh!“ Die alte Frau fuhr herum. „Jetzt habt ihr euer Rätsel gelöst“, sagte sie hastig zu den Unsichtbar-Affen. „Und es ist höchste Zeit, dass ich mich auf den Weg mache.“
„In die Grüne Lampe ?“, fragte Ağan.
„Woher weißt du das?“ Mit großen Augen blickte die Gräfin ihn an. Plötzlich schlug sie die Hände vors Gesicht und ließ sich in einen Sessel sinken. „Bin ich denn nur noch von bösen Geistern umgeben?“
„Nein“, sagte Jenny. „Erinnern Sie sich nicht? Wir haben uns gestern Abend auf dem Dampfer getroffen, auf dem Sie zur Moorlake gefahren sind. Sie haben unseren Affen gestreichelt.“
Die Gräfin sah auf. „Der Affe, ja“, murmelte sie. „An ihn kann ich mich erinnern. Aber euch habe ich vollkommen übersehen.“
„Aber wir Sie nicht“, sagte Addi. „Ağan hat gespürt, dass Sie Hilfe brauchen. Und deswegen sind wir Ihnen in den Grunewald gefolgt.“
„Wir haben den Erpresser belauscht, als Sie ihm Ihren Schmuck gegeben haben“, fügte Jenny hinzu.
„Ihr wart das! Aber das durftet ihr nicht!“ Die Gräfin schlug wieder die Hände vor ihr Gesicht. Sie weinte.
„Warum nicht?“, fragte Addi.
„Weil er meinen Lieblingen etwas antut, wenn
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