Unsichtbar und trotzdem da!, 5, Spur der Erpresser (German Edition)
Fähigkeiten habe ich erst erkannt, als ich älter war. In der Schule galt ich bei den Lehrern leider als Legastheniker.“
„Was ist das?“, erkundigte sich Ağan.
„Es hieß, ich könne nicht richtig lesen und schreiben“, sagte Henry Hämpel. „Kann ich aber.“
„Klar!“, rief Jenny. „Und das mit dem fotografischen Gedächtnis auch. Können Sie uns dann vielleicht auch sagen, wo in Berlin ein Baum durch Glas wächst?“
Der Taxifahrer legte sein Buch auf den Beifahrersitz. „Hm“, brummte er. „Hm.“ Und noch einmal: „Hm.“ Dann schüttelte erden Kopf. „Kenne ich nicht. Gibt’s nicht. Der einzige Baum, der durch Glas geht, wächst nicht, sondern liegt quer als Laufsteg in einer Modeboutique. Und von da ragt er dann bis auf die Straße. Durchs Glas. Aber wachsen tut der schon lange nicht mehr. Der ist gefällt!“
Die Unsichtbar-Affen starrten Herrn Hämpel an.
„Aber es ist ein Baum und er geht durch das Glas?“, fragte Ağan.
„Sage ich doch. Meint ihr den?“
Jennys Augen blitzten aufgeregt. „Kann gut sein.“
„Nein, er ist es!“, murmelte Ağan. „So sind gute Rätsel immer. Sie führen einen über Umwege auf die Spur.“ Er wandte sich wieder an den Taxifahrer. „Und in der Nähe soll ein verlorener Brunnen sein!“
„Nee!“ Henry Hämpel kratzte sich am Kopf. „Ich kenne alles in Berlin. Aber verlorene Brunnen, nee! Zu dem Baum kann ich euch bringen, wenn ihr wollt.“
„Abgemacht!“ Addi winkte Jenny und Ağan ins Taxi und sprang selbst vorne rein. Henry Hämpel ließ den Motor an und wendete. Dann fuhr er die Unsichtbar-Affen genau dreieinhalb Minuten nach Norden in die Bleibtreustraße.
„Da wären wir!“ Er hielt an. Sie standen vor einem Modegeschäft, aus dessen Glasfront ein breiter Baumstamm auf die Straße ragte. „Da ist euer filetiertes Defilee.“
„Hä?“, sagte Addi.
Henry Hämpel grinste. „Filetiert heißt aufgeschnitten. Und der Baumstamm ist ja in der Mitte auseinandergesägt, damit man auf ihm laufen kann. Und Defilee nennt man das, wenn so schicke Modemiezen auf einem Laufsteg die Kleider vorführen.“
„Ach, so!“, rief Addi. „Ein durchgesägter Laufsteg für Models, warum sagen Sie das denn nicht gleich?!“
„Ist eben alles eine Frage der Ausdrucksweise“, brummte der Taxifahrer. „Macht sechs Euro vierzig.“
Addi, der wie immer Geld in der Tasche hatte, gab ihm einen Zehneuroschein zum Bezahlen.
Henry Hämpel nahm das Geld, öffnete seine Börse und hustete kurz und kräftig, dann zählte er das Wechselgeld zusammen und reichte es Addi.
„Also, macht’s gut, ihr Knirpse, und viel Glück mit eurem Wunschbrunnen oder was das sein soll.“ Plötzlich zog er noch einen Cent zusätzlich aus seiner Börse. Er gab ihn Ağan. „Und wenn ihr den Wunschbrunnen findet, werft für mich bitte den Glückscent mit rein.“
„Und was sollen wir für Sie wünschen?“, fragte Jenny neugierig.
„Gesundheit für mich und meine Freunde und dass mir mal eine gute Geschichte einfällt, die ich aufschreiben kann. Ich würde meiner alten Lehrerin, bevor sie das Zeitliche segnet, gernenoch beweisen, dass ich doch gut schreiben kann und sie sich geirrt hat.“
Jenny kicherte. „Wird gemacht“, sagte sie und stieg hinter ihren Freunden aus dem Taxi.
Die Bleibtreustraße war genauso sonntäglich verlassen wie der Rest der Stadt. Nur das Sonnenlicht wurde inzwischen etwas goldener.
„Und wo suchen wir jetzt weiter?“ Jenny blickte die Straße entlang.
„Der Nase nach“, schlug Ağan vor.
„Und wieso soll das richtig sein?“ Addi sah auf den Baumstamm.
Ağan zuckte die Schultern. „So ist das eben mit diesen Rätseln des Lebens. Man muss immer auch seinem Gespür folgen.“
„Ja, okay ...“ Addi grinste. „Der Kluge bemüht sich, alles richtig zu machen. Der Weise bemüht sich, so wenig wie möglich falsch zu machen. Ich bin dabei.“
Sehr viel anderes, als das zu tun, was Ağan vorgeschlagen hatte, blieb den Unsichtbar-Affen auch gar nicht übrig. Die Straße führte nämlich nur nach Süden oder nach Norden und dorthin zogen sie jetzt los.
Aufmerksam beobachteten sie, was sie sahen. Einen Blumenladen voller Farben. Ein Geschäft, das sich Kaufhaus Schrill nannte und in dem es glitzerte und funkelte wie in einem frisch explodierten Feuerwerk. Ein altes Kino. Schaufensterpuppen mit so dünnen Stofffetzen am Leib, dass Jenny entzückt rief: „Das kann nur aus Frankreich kommen!“
Sie gingen weiter. Es folgten ein
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