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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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wissen, was sie denkt, und da deine Eltern keinen Meter von euch entfernt stehen, kannst du nicht fragen. Du nimmst sie in die Arme und flüsterst: Ich möchte nicht gehen. Du sagst es noch einmal: Ich möchte nicht gehen. Und dann trittst du von ihr zurück, senkst den Kopf und gehst.

Teil III

    Eine Woche nachdem ich Sommer gelesen hatte, läutete ich in Oakland, Kalifornien, an der Tür von Walkers Haus. Ich hatte ihm weder schriftlich noch telefonisch mitgeteilt, was ich vom zweiten Teil seines Buches hielt, und er hatte weder schriftlich noch telefonisch danach gefragt. Ich fand es besser, ihm meinen Kommentar dazu erst zu geben, wenn ich ihn persönlich vor mir sähe, und da der Termin für unser gemeinsames Essen unmittelbar bevorstand, hätte ich dazu ja bald Gelegenheit. Ich wusste selbst nicht, warum mir das so wichtig war, aber ich wollte ihm in die Augen sehen, wenn ich ihm sagte, dass ich von dem, was er geschrieben hatte, nicht angewidert war, dass ich nichts davon brutal oder hässlich fand (um seine eigenen Worte zu zitieren) und dass meine Frau, die inzwischen ebenfalls die ersten beiden Teile des Buchs gelesen hatte, ganz meiner Meinung war. So etwa lautete die kleine Rede, die ich mir im Taxi auf der Fahrt von San Francisco über die Brücke nach Oakland zurechtlegte, aber es war mir nicht vergönnt, ihm zu sagen, was ich ihm sagen wollte. Wie sich herausstellte, war Walker, vierundzwanzig Stunden nachdem er mir das Manuskript geschickt hatte, gestorben, und als ich vor seinem Haus eintraf, lag seine Asche bereits seit drei Tagen unter der Erde.
    Das alles erzählte mir Rebecca, eben jene Rebecca, von der Adam in seinem zweiten Brief erzählt hatte, seine fünfunddreißig Jahre alte Stieftochter, eine große, breitschultrige Frau mit hellbrauner Haut, durchdringenden Augen und einem attraktiven, wenn auch nicht im herkömmlichen Sinne hübschen Gesicht, die den weißen Ehemann ihrer Mutter nicht ihren Stiefvater nannte, sondern ihren Vater. Es freute mich, dieses Wort aus ihrem Mund zu hören, es freute mich, dass Walker imstande gewesen war, so viel Liebe und Loyalität in einem Kind zu wecken, das nicht er selbst gezeugt hatte. Dieses eine Wort schien mir alles über das Leben zu sagen, das er sich in diesem kleinen Haus in Oakland aufgebaut hatte, zusammen mit Sandra Williams und ihrer Tochter, die schließlich auch seine Tochter wurde und nach dem Tod ihrer Mutter bis zum Ende bei ihm geblieben war.
    Rebecca brachte mir die Nachricht bei, kaum dass sie die Tür aufgemacht und mich ins Haus gelassen hatte. Ich hätte nicht überrascht sein sollen, war es aber. Trotz der Schwäche und Angst, die ich bei unserem Gespräch am Telefon in seiner Stimme vernommen hatte, trotz meiner Überzeugung, dass es mit ihm zu Ende ging, hatte ich nicht gedacht, dass es gerade jetzt passieren würde, sondern angenommen, ein wenig Zeit bleibe ihm noch - Zeit genug jedenfalls für das Abendessen mit mir und vielleicht sogar Zeit genug, sein Buch zum Abschluss zu bringen. Als Rebecca die Worte sprach: Mein Vater ist vor sechs Tagen gestorben, war ich so verblüfft, so wenig bereit, das Endgültige ihrer Mitteilung zu akzeptieren, dass mir plötzlich ganz schwindlig wurde und ich sie fragen musste, ob ich mich setzen dürfe. Sie führte mich zu einem Sessel im Wohnzimmer und ging dann in die Küche, um ein Glas Wasser zu holen. Als sie zurückkam, entschuldigte sie sich für ihre Dummheit, dabei war eine Entschuldigung nun wirklich nicht nötig, und dumm war sie ganz gewiss auch nicht.
    Ich habe erst vor knapp einer Stunde erfahren, dass Sie und mein Vater für heute Abend zum Essen verabredet waren, sagte sie. Seit der Beerdigung war ich täglich im Haus, um hier alles zu ordnen, und bis heute Abend um sechs ist es mir nicht ein einziges Mal in meinen dicken kleinen Kopf gekommen, seinen Terminkalender aufzuschlagen und nachzusehen, ob er noch irgendwelche Verabredungen hat, die ich absagen muss. Als ich den Eintrag für sieben Uhr sah, habe ich sofort bei Ihnen zu Hause in Brooklyn angerufen. Ihre Frau gab mir die Nummer Ihres Hotels in San Francisco, aber dort sagte man mir, Sie seien nicht in Ihrem Zimmer. Also nahm ich an, Sie seien bereits auf dem Weg hierher; ich rief meinen Mann an, sagte ihm, er soll den Kindern was zu essen geben, und habe dann hier auf Sie gewartet. Es mag Ihnen nicht bewusst sein, aber Sie haben exakt um Punkt sieben auf den Klingelknopf gedrückt.
    So war es vereinbart, sagte ich. Ich

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